Wenn es schon nichts zu feiern gibt, lasst uns wenigstens tanzen! Spank Rock aus Baltimore peitscht seinen wilden Musikmix wie eine Droge durchs Gehirn.
Die Zeit rast. Gegenwart überholt Zukunft und Geschichte sich selbst. Die Wende von morgen ist übermorgen eine von gestern, was die Halbwertszeit jedes Trends drastisch verringert. Es rappelt sozusagen unablässig im Karton des Zeitgeistes, und um darin nicht komplett durchzudrehen, helfen nur Sedativa, am besten gemischt mit Aufputschmitteln. So ähnlich wirkt auch der Musikmix des Künstlers, der sich Spank Rock nennt: Wie eine Wirkstoffkombination aus Uppern und Downern dockt er sich an die Rezeptoren an. Man empfindet nichts – und zugleich auf eine berauschende Weise alles Mögliche.
Schon als Naeem Juwan, der Mensch hinter dem Kunstnamen, seiner Heimatstadt Baltimore eine Art technoiden Hip-Rock mit dem Plattentitel YoYoYoYoYo verschrieb, war das als lautmalerisches Manifest gegen den offenkundigen Niedergang der Stadt an der amerikanischen Ostküste gedacht. Party-Rap nannte sich die Welle zu Anfang, und als sie an Fahrt aufnahm, spülte sie Spank Rock von der Ostküste nach Europa, wo der amerikanische Sprechgesang mit elektronischen Mitteln erstmals tiefergelegt wurde. Fünf Jahre später geht der Nachfolger mit dem discoesken Titel Everything Is Boring And Everyone Is A F–ing Liar ein paar Schritte weiter.
Irgendwo zwischen dem Punk von Peaches, der Power von M.I.A. und der Apathie eines Tricky peitscht Spank Rock seinen Electroclash wie eine neue Droge durchs Gehirn. Um Botschaften geht es dabei weniger, was sich mitteilt, ist der Wille zur Party. Selbst wenn zwischendurch von einem Race Riot die Rede ist oder der Titel # 1 Hit die Ausbeutung im Musikbiz anprangert – das neue Album macht einfach nur deutlicher, was schon zu Beginn mit dem Begriff „Dirty Rap“ gemeint war: ein Gegengift zu ökonomischer und sozialer Aussichtslosigkeit.
Wenn es schon sonst nicht zu feiern gibt, lass uns wenigstens tanzen! Stücke wie das breakbeatbefeuerte The Dance oder der kleinteilige Car Song klingen, als hätte eine Riege erlesener Starproduzenten sie im rappelvollen Kellerclub eins zu eins abgemischt. Die Atmosphäre entspricht so sehr dem fröhlichen Fatalismus des Techno, dass man sich immer wieder an die Neunziger erinnert fühlt. Doch diese Disco liegt im Krisengebiet. Hier treten alle Stile wie in einem grandiosen Finale gegeneinander an, weil alle Kompromisse faul wirken.
„Everything Is Boring And Everyone Is A F–ing Liar“ von Spank Rock ist erschienen bei Boysnoize/Word and Sound.
Aus der ZEIT Nr. 41/2011