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Schwarz-Rot-Gold, Fleisch-Fleisch-Fleisch!

 

Rammstein, Deutschlands international erfolgreichste Band, hat ihr Schaffen kompiliert. Made in Germany 1995-2011 ist das Zeugnis eines Missverständnisses.

© Frederic Batier

Sie springt einfach nicht mehr an: die Empörungsmaschine der Hochkulturverwaltung. Da kann man machen, was man will, kann polarisieren, dass die Zeichen rauchen, provozieren, bis das kollektive Gewissen kocht, auf die Symbolismuskacke hauen, solange Thors Hammer glüht. Kann zu martialischen Gitarrenriffs „Du bist hier in meinem Land“ grunzen und dazu abwehrbereit dreinblicken, nackte Brüste betatschen, eine – huiuiui – deutsche Fahne durchs Video flitzen lassen und auf die üblichen Fragereflexe warten: Ist das Statement oder bloße Pose? Nazithrill oder Kunst. Poesie oder Prollgehabe? Tja, was…

Auch 16 Jahre nach ihrem Debütalbum sind Rammstein unablässig auf der Suche nach maximaler Erregung. Und weil die zusehends schwerer zu erzeugen ist in der multioptionalen Spaßgesellschaft, kompiliert Universal ein Jubiläumsalbum ohne Jubiläumsdatum seines teutonischen Zughengstes mit all seinen Erregungsexponaten: Du riechst so gut vom Erstling und Du hast vom Nachfolger, Mutter (2001), Mein Teil (2004) oder Pussy von 2009, dazu Mein Land, der neue Track in schwarz-rot-goldenen, fleisch-fleisch-fleischigen Farben.

Das ganze Repertoire sexueller, sozialer, kultureller Gewalt also, und dann nennen sie es auch noch Made in Germany 1995-2011. Wieder so ein kleiner Affront. Doch was passiert? Gar nix. Wohlwollen, Anerkennung, Respekt, freundliche Diskurssachen halt, aber kein Aufschrei, Null Erregung. Mit achtfach gerolltem Deutsche-Wochenschau-Kommentatoren-R. Schon seltsam.

Und logisch. Denn Rammstein durchlaufen mit ihrer schwarz-weißen Brachialpoesie die Romantisierung des selbstbewusst Patriotischen, manchmal gemildert Völkischen deutscher Nachwendeherrlichkeit in Echtzeit. Diesen Weg von der ersten Euphorie über eine instinktive Schockstarre samt anschließender Abnutzung bis hin zu entspannter Überhöhung. So wie das wiedervereinigte Land seinen neu gewonnenen Stolz erst bejubelte, dann verleugnete, bald absorbierte und schließlich in einem Sommermärchen verklärte, so hat sich auch die Rezeption von Rammstein entwickelt: Einst war das Berliner Sextett mit Mecklenburger Wurzeln schlimm, jetzt ist es höchstens schaurig, gestartet als Frechheit landet es konstant im platingoldenen Mainstream.

Was war das nicht für ein Getöse, als 1995 Herzeleid erschien, Sehnsucht zwei Jahre drauf das Niveau hielt, selbst die dritte Platte Mutter noch polarisierte, ganz abgesehen von Riefenstahlscher Nazi-Propaganda im Video zum Depeche-Mode-Cover Stripped. Sechs sehnige Kerle mit akkuratem Kurzhaarschnitt wilderten da in dubiosen Codesystemen. Herrenmenschengesten und Körperkult, Kasernenhofton und Führerhauptquartierduktus – mit Geistesnazis in gesellschaftlichen Spitzenämtern und hartrechter Volksparteirhetorik konnte das Land leben. Aber mit Rammstein?

Deren Getöse war ja auch klanglich eher Stechschritt als Neue Deutsche Härte, wie ihr Genre flugs getauft wurde. Extremer Hardrock, Christoph „Doom“ Schneiders technoides Schlagzeug zu Grindcoregitarren – so ein Gebräu gab es bis dato nirgends. Stoisch, präzise, martialisch. Marschmetall mit Till Lindemanns dumpfem Sprechgesang voll Blut, Asche, Schlachten, Schmerz, Unterwerfungsgestik und Dominanzgehabe. Töne wie Stahlgewitter, Texte wie anschwellende Bocksgesänge, Bühnenshows wie Fegefeuer, alles zwischen Ernst Jünger und Charles Bukowski.

Die Elemente waren keinesfalls neu. Kraftwerk und DAF haben die Kälte deutscher Bürokratie elektronisch übersetzt, Nitzer Ebb und Laibach dazu gar HJ-Uniform getragen. Rammstein aber sind damit ins Stadion eingezogen. Ein Nischenprodukt wurde Massenware. Aber eine rechtsradikale, wie schnell kolportiert wurde? Wer das behauptet, hört nicht zu. Rammstein singen schließlich nur über das Eine, den Geschlechtsakt. In radikaler Lyrik, zugegeben. Aber dauernd. Große Jungs, die in der Blütezeit des Crossover, als Body Count und Run DMC den Rock in den Hip-Hop transponierten, Rage Against Machine und Clawfinger Punk in den Hardrock oder Red Hot Chili Peppers und Faith No More Funk in den Metal, divergente Stile verklebten: Dichtkunst, Hardrock, Techno. Das war neu, deutsch, international erfolgreicher als hierzulande und vielleicht deshalb verdächtig, aber nicht schuldig. Heute seltener denn je.

Denn zwischen Herzeleid und Liebe ist für alle da sind sie Album für Album umgezogen: von David Lynchs psychotischem Indie-Kino ins Multiplex von Wacken, vom subtil verstörenden „ein blindes Kind/das vorwärts kriecht/weil es seine Mutter riecht“ zum profan provokanten „Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr“, vom Stakkato zur Double-Bass. Die Bürgerschrecks machen Metal, und wer mit Mitte 40 sein erstes Lebenswerk kompiliert, der kann so gefährlich nicht sein fürs Gemeinwesen.

Daran ändert Morbidität auf dem Cover wenig. Made in Germany, auf Wunsch in der Stahlbox, zieren die Totenmasken der Bandmitglieder. Das ist nicht mal mehr anstößig, eher abstoßend schön. „Der politische Kontext, in dem sich Rammstein auf Deutschland beziehen, ist nicht mehr der des Kniefalls Brandts in Warschau, sondern der von brennenden Häusern von Flüchtlingen und Migranten“, hatte der Musikkritiker Ulf Poschardt zu Stripped geschrieben und die Verfasser in den Kontext der Neuen Rechten gestellt.

Heute verpassen Rammstein dem knieenden Kanzler auf dem Werbeplakat eine der Totenmasken. Das ist nicht heikel, sondern bestenfalls eitel. Aber wer den Madison Square Garden in 20 Minuten ausverkauft und nach Jahren des Boykotts auf MTV abendliche Spezialsendungen erhält, darf das wohl auch sein.

„Made in Germany 1995-2011“ von Rammstein ist erschienen bei Vertigo Berlin/Universal.