Wer war Ursula Bogner? In der Geschichte der ersten deutschen Frau am Synthesizer verschwimmen Echtheit und Täuschung zu einer höheren Form des Künstlerischen.
Ursula Bogner kann jetzt auch singen. Dieses Glück mag schon anderen Künstlerinnen beschieden gewesen sein, die mit instrumentalen oder kompositorischen Fertigkeiten auf sich aufmerksam machten. Ursula Bogner aber ist seit 17 Jahren tot. Zumindest auf dem Papier.
Die Faktenlage ist nicht nur schmal, es gibt keine gesicherten Informationen zu der Musikerin, die auf den Namen Ursula Bogner hört. Sie erschien 2008 auf der Weltkarte des Pop als archäologische Überraschung, ausgegraben vom Berliner Elektromusiker Jan Jelinek, vorgestellt in einem kunstvollen Pappschuber, der einen ihrer Linoldrucke zeigte und eine CD mit 15 Aufnahmen aus der Zeit von 1969 bis 1988 enthielt.
Dieses erste Lebenszeichen der Toten wurde angeführt von einer mysteriösen Vita, die dazu auserkoren schien, das interessierte Publikum in ein Fantasialand der Spekulationen und Fragen zu locken. Wie konnte die studierte Pharmazeutin, Ehefrau und Mutter von zwei Kindern ihre bahnbrechenden experimentellen Aufnahmen mit Synthesizern, Ringmodulatoren und einer Rhythmusmaschine so lange vor der Öffentlichkeit verbergen? Welche Rolle spielte Bogners Studium von Wilhelm Reichs Orgonomie für ihre fliegenden Sound-Untertassen? Oder geradeheraus: Ist Ursula Bogner nicht „Jan Jelinek in Frauenkleidern“? Der Fake-Verdacht, der von den Blogs in die traditionellen Medien schwappte, steht seitdem im Raum, er verhüllt das Kunstwerk Bogner, ironischerweise zum Zwecke seiner Enttarnung.
Ein Erfolg darf dem Projekt zugestanden werden: Mit Ursula Bogner ist Deutschland endlich seiner Elektronik-Urmutter habhaft geworden, jenes Missing Links zwischen Oskar Sala, Erfinder des Trautoniums, Herbert Eimert und seinem Kölner Studio für Elektronische Musik und dem ersten großen Auftritt von Kraftwerk.
Ursula Bogner ist der Geist, der in eine Flasche gesteckt wurde, weil er sich weigerte, seine Kompositionen außerhalb der eigenen vier Wände zu Gehör zu bringen, sei es aus Scheu oder aus dem Unwillen, sich am Kanon der populären Musik zu messen. Jahrzehntelang wartete der Geist auf seine Befreiung, bis der Musiker Jelinek die in der Künstlerin angelegten Möglichkeiten entdeckte und den Korken zog.
In der Geschichte der privatistischen Elektronikerin, die jetzt um eine zweite Veröffentlichung mit 15 Aufnahmen erweitert worden ist, verbinden sich Echtheit und Täuschung zu einer originären Kunstform, die in der deutschen Popkultur neu ist. Ein Zwitterwesen, das sich im freien Spiel zwischen Futurismus und Folklore an seinen neuen Freiheiten berauscht und von Track zu Track „wirklicher“ erscheint.
Wie jetzt zu hören ist, hat die Bogner auch mit ihrer Stimme experimentiert, zerschnitten und verfremdet huscht diese wie von unsichtbarer Hand gezogen durch kleine Lieder und synthetische Skizzen. Ursula Bogner springt aus dem Musikzimmer ins All, mit deutscher Nachdenklichkeit: „Ist denn die Sonne eine Blackbox / Ob man die Nacht abschaffen kann? / Auf dem Uranus, Herschels Planet / Mit Schäfermonden rings umrannt / Solarwinde“.
Bogners Biografie switcht vom Obskuren zum Gutbürgerlichen, die minimalistischen Klanginstallationen pulsieren dazu formvollendet zwischen Avantgarde und Kindermusik. Die frühesten Tracks, Ende der 1960er datiert, könnten aus der Schwarz-Weiß-Welt des Kommissars stammen oder ein elektronisches Klicken aus der Wäschekammer des Raumschiffs Orion wiedergeben. Sie erzählen im gleichen Moment aber von der Möglichkeit der Rekonstruktion im digitalen Zeitalter.
Die virtuelle Welt hat die Täuschung zum Kinderspiel gemacht. Fakes wie die aktuelle japanische Charts-Sirene Eguchi Aimi, die komplett am Rechner designt wurde, sind Pop in letzter Konsequenz. In der Traummaschine werden Wunsch und Wirklichkeit eins. Der Fake, im Unterschied zur Fälschung, will das Publikum auf eine Spur führen und das sonst so schwer Erzählbare erzählen: von den Chancen der Vereinigung von Subjekt und Objekt, von der Transformation des Gestern ins Heute, wie jetzt im Werk Bogners. Der größte Wirkstoff darin ist die wunderbare Macht der Unfassbarkeit, die die Aufnahmen Bogners überhöht, kontextuell schmückt und den Diskurs zum Swingen bringt.
Jan Jelinek sagt im Interview, dass es ihm wichtig sei, „diese entkoppelte Reflexion über Ursula Bogner nicht zu beeinflussen. Das war spannender zu beobachten als einzuschreiten“. Die talentierte Frau Bogner wird so schnell nicht ihrer Geheimnisse beraubt werden, weitere Alben sind in Planung. Jetzt, wo der Geist aus der Flasche einmal unter uns ist, wird er seinem Befreier weiter dienen und ihm jeden Wunsch von den Lippen ablesen.
„Sonne = Blackbox“ von Ursula Bogner ist erschienen bei Faitiche/Mass Media.
Aus der ZEIT Nr. 50/2011