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Kongo calling

 

Der Rapper Baloji inszeniert die Zerrissenheit seines afrikanischen Heimatlandes als großes Musiktheater. Seine Kritik an den politischen Umständen im Kongo wogt im Flow.

© Alexander Popelier

In einem seiner Musikvideos springen Maskierte mit Geisterfratzen und aufgemalten Skeletten durch die Straßen von Kinshasa. Nein, Baloji beschönigt nichts. Und doch erscheint der Kongo, dieses Land, das seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommen will, auf seinem Album Kinshasa Succursale nicht einfach als afrikanische Vorhölle. Die Idee des 33-jährigen Rappers: Warum nicht die besten Musiker der verschiedenen kongolesischen Pop-Genres – von den scheppernden Metallofonen der Likembe-Orchester über Folk-Sängerinnen bis zum Gitarrengeklingel der Soukous-Bands – vor Ort ins Studio bitten und mit ihnen live ein Hip-Hop-Album einspielen?

In seinem belgischen Exil hatte sich Baloji zunächst an US-amerikanischen Rappern orientiert. Ein Brief seiner im Kongo lebenden Mutter veranlasste ihn vor wenigen Jahren, den Blick auf seine alte Heimat zurückzurichten: Hotel Impala hieß 2008 sein von der Kritik hochgelobtes Solo-Debüt. Kinshasa Succursale gräbt noch tiefer, inszeniert die Zerrissenheit des Kongo wie auch der eigenen Existenz als großes Musiktheater. Am Ende verbinden sich westliche Club-Beats, amerikanischer Soul und afrikanischer Straßen-Funk wie selbstverständlich.

Alles wogt im Flow. Da sirren und klirren die Fingerklaviere auf Karibu Ya Bintou, kreiseln dunkle, seelenvoll vibrierende Cluster um den Beat einer Handtrommel, während Baloji auf Französisch, Lingala und Swahili von Zombies rappt. Oder Congo Eza Ya Biso: Funky Soukous-Gitarren galoppieren um die Wette, der Rhythmus peitscht zum Tanz-Delirium.

Nur die Raps konterkarieren die Party: „Lauft davon!“, ruft Baloji seinen Landsleuten zu. Und: „Wir haben mehr zu bieten als nur unsere Minen.“ Als Rapper nennt er die Verhältnisse beim Namen: Ausländische Konzerne und korrupte Regierungsbeamte teilen die reichen Bodenschätze des Landes unter sich auf, während die meisten Menschen nichts als Armut und Bürgerkriege kennen.

Auch den Klassiker Independance Cha Cha hat er neu eingespielt. Baloji rüstet den naiv-optimistischen Unabhängigkeits-Schlager seiner Eltern zur kritischen Hip-Hop-Hymne auf, sein Fazit: „Unser Land muss noch einen weiten Weg zurücklegen“. Und doch hat Kinshasa Succursale eines bereits geschafft: den Kongo mit seiner genialen Fusion auf die Landkarte des Hip-Hop zu setzen.

„Kinshasa Succursale“ von Baloji ist erschienen bei Crammed Discs.

Aus der ZEIT Nr. 50/2011