Auf ein neues Pop-Jahr! Aber Moment, was bleibt uns vom alten, außer den ewigen Bestenlisten? Autotune war gestern, Stottern ist heute.
Der Tonträger ist zurück! Und was hat er an den freien Tagen gemacht? Natürlich die unzähligen Pop-Jahresrückblicke in den unüberschaubaren Weiten des Internets gesichtet.
Alle brauchen ein bisschen Orientierung im wirren Lauf der Welt, und Musikfreunde mögen vor allem Listen, die ihnen die 50 besten der 100 größten der 250 berühmtesten Gitarristen aufzählen, damit sie sich darüber erregen können, dass der von ihnen vergötterte isländische Metaltroll nicht dabei ist. Deshalb auch hier nochmal einige Spitzenplatzierungen aus der englischsprachigen Musikpresse:
Der britische Guardian, Wortführer im sommerlichen Murdoch-Medien-Skandal 2011, nominiert Let England Shake von PJ Harvey. Das passt wie Orangenmarmelade auf Toast. Dem schließt sich der NME an, mag am Redaktionssitz liegen.
Das Autorenteam des englischen Rolling Stone findet Adeles 21 am besten und spiegelt damit – ob autark oder auflagenbedingt – die Meinung von Millionen von Käufern, die dieses Album zum erfolgreichsten Bestseller in der Pop-Geschichte der Insel machten.
Pitchfork setzt Bon Iver an die Spitze der Kritiker-Charts und trifft damit die richtigste Wahl. Die absolut einzig zulässige und objektiv begründbare! Alle anderen Jahresend-Charts sind schlichtweg falsch. Und das ist keine Geschmacksfrage. Also, jetzt wirklich nicht.
Aber wischen wir die ganzen (K)Rankings mal kurz beiseite und machen uns frei von diktiertem und persönlichem Gusto. Öffnen wir uns stattdessen – endlich! – den Trends, die uns im vergangenen Jahr verdutzt haben und uns möglicherweise auch noch 2012 erhalten bleiben.
Der geschätzte Jonah Weiner vom US-Magazin Slate verweist in seinem Jahresrückblick auf die Rückkehr des Stotterns im Pop, wobei hier natürlich im doppelten Wortsinn nicht von einer neuen Strömung gesprochen werden kann. Stakkatogesang fliegt uns ja nicht erst seit Coldplays „Para-para-paradise“, Katy Perrys „Kiss me, ka-ka-kiss me“ oder Lady Gagas „Pa-pa-pa-Pokerface“ um die Ohren.
Selig erinnern wir uns an den „Ma-ma-ma-Märchenprinz“ von EAV (1985), an das „Mmm Mmm Mmm Mmm“ der Crash Test Dummies (1993) oder die kieksende „Pä-hä-gi Sue“ Buddy Hollys (1957). Und überhaupt: Bebop – ein ganzes Genre ist Stottern!
Als erster Scatman der Musikgeschichte dürfte der Pa-pa-Panflötenspieler Papageno gelten. Mozart lässt ihn schüchtern stammeln – der hilflose Mensch im Angesicht seiner ersten großen, überirdischen Liebe. Das neue Stottern hingegen ist nicht mehr emotionaler Ausdruck, sondern eine Anleihe beim, wie Weiner schreibt, „Post-Auto-Tune-Cyborgismus“. Seine Erklärung für die wachsende Beliebtheit des Stakkatos: „Es ist höchst nutzerfreundlich (d.h. einfach zu imitieren), es hämmert eine Melodie oder Textzeile direkt in den Kopf des Hörers. (…) Als Effekt digitaler Post-Produktion erweckt diese Macke den Anschein, der Sänger sei ein kaputter Roboter.“
Autotune war gestern, Motorenhusten ist heute. Ist die Technikbegeisterung der musizierenden Klasse etwa schon am Ende? Viel eher besinnt sie sich wohl mal wieder auf hübsche Stilmittel der Vergangenheit. Denn freilich: Wo Rhythmus alles zählt, folgt die Sprache dem Fluss. Tausende Hip-Hopper können ein Lied davon singen. Als erster Stotterrapper im deutschsprachigen Raum ließ Falco 1985 seinen berühmten Vorgänger zum Stoptrick an die Spitze aller Hitlisten tanzen. Und der hieß, wem klingt es nicht im Ohr: O-o-o-Amadeus.