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Komm, wir spielen Streichelquartett!

 

Tokio Hotel meets Rondo Veneziano: Am Beispiel des übersexualisierten Crossover-Ensembles Eklipse zeigt sich die Verzweiflung der Musikbranche in ihrer reinsten Form.

© PR/Angst-im-Wald

Hin und wieder offenbart sich die Musikbranche als so armselig, dass das Mitleid des Beobachters in Übelkeit umschlägt. Konservativismus, Zukunftsangst, Verzweiflung – alles nachvollziehbare Reflexe angesichts schwieriger Verkaufsbedingungen und überkommener Urheberrechte.

Aber steht es wirklich so schlimm, dass man eine Band wie Eklipse designen muss? Würde man André Rieu entführen, ihm Strapse anziehen, ihn knebeln, 72 Stunden lang mit Unheilig beschallen und dann zu seinen finstersten Fantasien verhören – dies käme heraus:

„EKLIPSE. NACHT. TAG. EKSTASE. HINGABE. A NIGHT IN STRINGS. A DAY IN BOHEMIA. MOND. GLEISSENDES SONNENLICHT. WUCHT. KAMMERMUSIK. TALENT. DISZIPLIN. SEX. ZÄRTLICHKEIT. SCHWARZE SONNE. FEUERRING. AUSLÖSCHUNG. KORONA. IN THE END. CRY ME A RIVER. CELLO, VIOLA, ZWEI VIOLINEN. FIXSTERNE. EKLIPSE.“

Der arme Rieu. Wer wollte so weit gehen? Nein, das ist der Pressetext zum neuen Damenstreichelquartett, das unter eigenem Label um Aufmerksamkeit kämpft. Die Requisiten sind bekannt aus dem Privatfernsehen: Latex, Korsagen, Spitzenunterröcke, Lackpumps, achja, und vier ansehnliche Statistinnen, die ihr Instrumentarium einigermaßen benutzen können.

Da haben die Musikerinnen keine Namen, dafür aber wahlweise harten oder romantischen Sex. Da ist das Cello keine Bassgeige mehr, sondern ein „pures, wollüstiges Symbol, dessen Beherrschung ein tiefer Akt der Befriedigung“ ist. Da wird „nie ein Wort zu viel“ gesprochen, „weil es Verrat sein könnte“. Oder man nicht viel zu sagen hat. Da kommen und gehen die Geliebten, „das Auge aber zeigt sie nie“. Vielleicht, weil es aus lauter Geheimnisvölle ein Schattendasein unter einer Satinklappe fristen muss.

Was, und wenn ja wie viel hinter den Augenbinden vor sich geht, ist nur aus zweiter Hand zu erfahren. Die vier Damen drücken sich ausschließlich über ihre – natürlich – rotlackierten Holzspielzeuge aus. Neben dem optischen ist ihr musikalisches Konzept ebenfalls so plakativ wie üblich: Klassisch ausgebildete Musikerinnen, die genug von sonntäglichen Hochzeitsmuggen haben, spielen Popsongs nach und wollen in die Charts. The Ten Tenors zu viert. Adoro im Sitzen. Apocalyptica mit Brüsten. Sparks ohne Funken. David Garrett im Puff.

Das ist dann nette Fahrstuhlmusik für die Nachtstrecken im Klassikradio, für die private Twilight-Party bei Doro und Ulf oder als Vorprogramm zum Nightwish-Konzert. Ende März soll ihr Debütalbum A Night in Strings erscheinen. Songs von Coldplay, Justin Timberlake, Lady Gaga und Leona Lewis in vierstimmigem Streichkäse, vorgetragen in Dessous. Bravo. So baut man nachhaltige Klassikstars auf.