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Tabascorock vom Dachboden

 

Alle sind verrückt nach diesem Southern Soul: Alabama Shakes sind der heißeste Südstaatenexport seit Langem, was nicht zuletzt an der Stimme von Brittany Howard liegt.

© Don Van Cleave

Athens ist ein beschauliches Städtchen im Norden von Alabama. Es gibt weite Baumwollfelder und ein Kernkraftwerk. Am Wochenende angelt man um die Wette oder besucht eine Traktorenschau, bisweilen kommt ein Tornado vorbei. Das war’s dann schon. Doch seit einigen Monaten ist der Ort in aller Munde, denn von hier kommt die Band Alabama Shakes. Die vier Musiker gelten mit ihrer Mischung aus Rock’n’Roll und Soul als heißester Südstaatenexport seit der Erfindung der Tabascosoße.

Nicht mal drei Jahre liegt ihr erstes Konzert zurück. Bis vergangenen Herbst kannte fast niemand die Band um Frontfrau Brittany Howard, die kürzlich noch als Briefträgerin gearbeitet hat. Unbegründet ist der Hype nicht. Vor allem Howards Gesang ist fulminant, mal klingt sie fast wie Etta James oder Aretha Franklin, mal brüllt sie sich in bester Janis-Joplin-Manier die Seele aus dem Leib, obendrein spielt sie E-Gitarre und Klavier.

Im Hintergrund grooven Zac, Heath und Steve wie die guten alten Booker T. & the M.G.’s, geben manchmal auch den Backgroundchor. Im Grunde ist ihre Musik klassischer Southern Soul, angereichert mit einer guten Portion Garage Rock. Muscle Shoals ist nicht nur geografisch gleich um die Ecke.

Auch wenn der prägende Sound fünfzig Jahre älter ist als die Band selbst, wirken ihre Songs nicht retromanisch. Man hört jedem Stück an, wie viel Spaß die Vier haben, alles wirkt live eingespielt. Vor allem das Eröffnungsstück Hold On klingt so frisch und roh, dass man es kaum aus dem Kopf bekommt. Die 23-jährige Brittany Howard zeigt, dass es beim Soul vor allem darum geht, sich selbst als Medium der Musik zu verstehen, einfach loszulassen. Sie schreit, flüstert, fleht. Ohne die Aufgesetztheit einer Joss Stone oder das blutleere Imitiergehabe der Casting-Sternchen.

Now, I was told to go where the wind would blow / And it blows away„, singt sie ganz entspannt in Rise To The Sun, bevor sie und die Jungs einen Wirbelsturm entfesseln. Es sind treibende Songs, die sich langsam steigern, pausieren, dann wieder losbrechen. Die Led-Zeppelin-Dynamik des grandiosen You Ain’t Alone gipfelt in einer Explosion aus Rhythm and Blues und Gospel, andere Stücke erinnern an Klassiker wie Across 110th Street und Soul Man. Einmal ersetzen Fingerschnippen und Händeklatschen das Schlagzeug, anderswo gibt es die volle Packung Bluesrock – mit ordentlich Crash-Becken, Gitarrensolo und einer Prise Funk. Wie das erst live rüberkommen muss!

Das Berliner Konzert ist längst ausverkauft. Woher rührt die Hysterie um diese Band? Alabama Shakes profitieren davon, dass es heute kaum Bands gibt, die Southern Soul spielen. Es greift der Strokes-Effekt: Für alle, die 2001 noch nie etwas von The Velvet Underground gehört hatten, mussten die New Yorker Indierocker damals wie wahre Heilsbringer klingen. Und genau wie Casablancas & Co holen auch die Schulfreunde aus Alabama zeitlose Sounds vom Dachboden der Musikgeschichte und machen etwas Eigenes draus. Bis auf wenige Schwächen, etwa die Stehblues-Nummer Boys & Girls, ein energetisches und verschwitztes Album, das nach schwülen Sommernächten klingt. Und Spaß macht es auch.

„Boys & Girls“ von Alabama Shakes ist erschienen bei Rough Trade/Beggars Group.

Alabama Shakes im Konzert: 25. April Köln, 26. April Hamburg, 27. April Berlin