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Weltmusik von Welt

 

Man trägt wieder Safari-Look: Vier Jahre nach ihrem Debüt legt Santigold ein neues Album vor, das überall im globalen Dorf verstanden wird.

© Sean Thomas

Wenn der moderne Musikschaffende sich auf die Suche nach seinen Wurzeln begibt, will er das Modebewusstsein nicht zu Hause lassen. Im Videoclip zu ihrer Single Disparate Youth stöckelt Santigold in hochgeschnürten Stiefeletten, deren buntes Blumenmuster mit dem ihrer Dreiviertelhose korrespondiert, durch den jamaikanischen Dschungel. Dabei machen Trampelpfade und Schlingpflanzen den hohen Hacken so schwer zu schaffen, dass es nicht überraschen würde, sollte sie plötzlich einen Schrei loslassen, wie man ihn aus dem deutschen Privatfernsehen kennt: Ich bin ein Star, holt mich hier raus!

Tatsächlich erfüllt Santi White aus Philadelphia, die sich hinter dem Namen Santigold verbirgt, eine Eingangsvoraussetzung fürs Dschungelcamp: Ihre Karriere war zuletzt ein wenig ins Stocken geraten. Vor vier Jahren, als ihr Debüt erschien, wurde White, die damals noch Santogold hieß, aber ihr Pseudonym nach einem Rechtsstreit modifizieren musste, bereits zur neuen Madonna gekürt. Stattdessen waren es ihre gute Freundin M.I.A., Lady Gaga und zuletzt Nicki Minaj, die das alte Versprechen erneuerten, Popmusik sei nicht nur Massenunterhaltung, sondern ein Vehikel aufrührerischer Ideen – auch wenn davon nicht viel mehr blieb als eine Ahnung, was man in der kommenden Saison tragen könnte.

White war nicht wirklich untätig in diesen letzten Jahren, sie hat mit der halben Popwelt zusammengearbeitet, von Devo über Christina Aguilera und dem Rapper Spank Rock bis hin zu den Beastie Boys. Erst jetzt aber erscheint ihr zweites Album Master Of My Make-Believe, und wieder ist es dem Glauben verpflichtet, Popmusik könne mehr sein als eine Maschine zur Erzeugung von Reichtum, Ruhm und schnöder Aufmerksamkeit. Eine naive Hoffnung, die hier aber noch einmal zu aufregender Musik führt: Modisch klappernde Club-Beats werden mit karibischen Trommeln gekreuzt, radiotaugliche Refrains mit harschen Gitarrenriffs kontaminiert. Polyrhythmisches liegt im Clinch mit naiven Kinderliedmelodien, und der halbe Weltmusik-Katalog möchte auch noch zitiert werden.

Auch wenn man damit keine Revolutionen mehr auslöst, der Clash der Stile, der hier betrieben wird, sucht selbst nach heutigen Maßstäben seinesgleichen. Mit Master Of My Make-Believe hat Santigold dem globalen Dorf eine schicke Erkennungsmelodie geschrieben. Das Album ist voller Songs, die in einem Club auf Ibiza ebenso funktionieren wie im Keller eines besetzten Hauses in Brixton, die von durch Berlin-Kreuzberg ziehenden Partytouristen ebenso verstanden werden wie von Connaisseuren, die zu ihrem Pinot noir gern exotische Musik aus einem Land genießen, das nicht jeder gleich auf der Landkarte findet.

Angelina Jolie trägt in solchen Ländern umgebungsangemessenen Safari-Look spazieren, hin und wieder aber auch schicke braune Handtaschen – im Auftrag eines Modekonzerns. Santi White aus Philadephia ist zwar auf Stöckelschuhen unterwegs und erweckt bisweilen den Eindruck, als würde Next Year’s Guerillakämpferin gesucht. Auf der Suche ist sie aber nur nach neuen Melodien oder einem bislang unerhörten Klang. Das Schuhwerk ist für eine solche Unternehmung natürlich nicht gerade praktisch, steigert dafür aber das Verletzungsrisiko. So wird Musik doch noch mal gefährlich – ein wenig zumindest.

„Masters Of My Make-Believe“ von Santigold ist erscheint bei Atlantic/Warner.

Aus der ZEIT Nr.17/2012