Bässe wie schwarze Echsen: Der Tüftler Cristian Vogel, einst Kumpan von Jamie Lidell, kehrt mit seinem neuen Album zurück in den Club. Die Fans haben Eintritt im Voraus gezahlt.
Bands wie Gang of Four, die Libertines und Public Enemy haben’s schon getan: Sie ließen sich ihre Platten von den Fans vorfinanzieren. Auch der britische Techno-Produzent Cristian Vogel hat sich nun der Schwarmfinanzierung bedient. Das Geld für sein vierzehntes Album The Inertials hat er über das Portal pledgemusic.com eingesammelt. Sein Motto: „Bring back the direct buzz.„
Mit Cristian Vogel zogen in den frühen neunziger Jahren minimale Härte und abstrakte Strukturen in den englischen Sound ein. Anders als viele seiner Kollegen konnte Vogel dabei auf ein akademisches Fundament zurückgreifen: Der gebürtige Chilene studierte in Brighton die Musik des 20. Jahrhunderts. Er wurde ebenso an der Musique concrète geschult wie dem grenzüberschreitenden Industrial-Sound, Detroit Techno und den Ambient-Experimenten Brian Enos.
In Clubs wie dem Berliner Tresor gehörten seine Platten wie das Debütalbum Beginning To Understand von 1994 zum Pflichtprogramm. Danach hieß es: „All music must come to an end„. Vogel war fertig mit Techno. Das Dance-Projekt Super_Collider mit dem Sänger Jamie Lidell war zum Ende der Neunziger ein Abstecher ins kommerziellere Fahrwasser. Lidell wurde bald darauf zum Star. Cristian Vogel zog sich in sein Studio in Barcelona zurück, um von dort aus seine Klangforschung zu betreiben.
Über die Jahre zeigte er sich als Tüftler, dem der Tanzboden nicht genügte: Musik für Tanzperfomances und Remixe, Experimentelles und Schroffes auf dem eigenen Label Rise Robots Rise. Sogar ein Gedichtband. Vogel werkelte emsig an der äußersten Peripherie des Techno, tauschte sich mit seinen Fans im Internet über die neueste Audiotechnik aus. Mit seinem neuen Album beschreitet Vogel den Weg zurück ins Zentrum.
Gleich das erste Stück Enter The Tub eröffnet mit einer Dubstep-Referenz. Vogel hat seine abstrakten Kompositionen mit rollenden Bassläufen verkantet. Doch er ist weniger an dem für Dubstep typischen schleppenden Groove interessiert, als vielmehr an der Offenheit gegenüber verschachtelten Texturen. Um die Bassfrequnzen drapiert er scharfkantige Beats und raue Loops, die wie verzerrte Querbalken in die Stücke ragen. Vogels Sound ist hart und kompromisslos, oft weht der Geist der Techno-Hochzeit durch die Stücke.
Dabei klingen Seed Dogs oder Snakes in the Grass extrem plastisch. Jeder Sound erscheint hyperscharf und greifbar. Die Musik steht wie eine Skulptur im Raum. Leider hat man das Gefühl, immer nur um sie herumgehen zu können. Für alles andere ist Vogels sorgfältiges Klangdesign bisweilen zu hermetisch. Darin ähnelt er Formationen wie Monolake, deren letztes Album Ghosts erstaunliche Parallelen zu The Inertials aufweist.
Wenn es der Platz erlaubt, versteht es Vogel, Stimmungen aufzubauen und Atmosphären zu schaffen. Der Übergang von der melancholischen Midi-Piano-Ballade Todays Standard Form zum düsteren Dub-Techno-Kriecher Deepwater ist atemberaubend. Wie schwarze Echsen gleiten die Bässe heran, diffuses Rauschen breitet sich schattenhaft aus. Und mit dem elfminütigen Herzstück der Platte Spectral Transgression beweist Vogel, dass ihm in Sachen Radikalität nach all den Jahren immer noch kaum jemand das Wasser reichen kann. Seine Fans haben ihr Geld jedenfalls wertkonservativ angelegt.
„The Inertials“ von Cristian Vogel ist bei Shitkatapult erschienen.