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Retter der Kokosnuss

 

Schlaue Popmusik und dabei unverschämt unterhaltsam: Django Django aus Schottland überzeugen mit ihrem raffinierten Debüt. Schon jetzt das beste Album des Jahres, meint Arno Frank.

© Pressefoto

Theoretisch? Es kann, wer will, schon nach wenigen Takten die ersten Anspielungen ausmachen. Der Harmoniegesang der späten Beach Boys als luftig-helle Dachkonstruktion dieser Musik. Ihr Fundament, eine obskure Schichtung unterschiedlichster Einflüsse. Wie ein Hot-Chip-Remix einer Animal-Collective-Coverversion eines Franz-Ferdinand-Hits, mit Bo Diddley als Gastgitarrist, im Vorprogramm einer Allstar-Band aus Moondog, Vampire Weekend, MGMT, Phoenix, Super Furry Animals, Gorillaz und noch mindestens einer anderen Gruppe, die uns gerade entfallen ist.

Default von Django Django

Spätestens hier haut das überspannte Referenzgewitter dem Bescheidwisser gnädig die Sicherungen raus. Nun kann er das Vergleichen einstellen und sich – wie jeder andere auch – einfach Django Django und dem Debüt des Jahres widmen. Das lohnt sich nicht nur, weil es so schlaue Musik ist (das auch), sondern vor allem, weil sie so unverschämt unterhaltsam daherkommt.

Django Django, so der Titel des Debüts, ist nicht deswegen ein so weiter Wurf, weil das Quartett schottischer Kunststudenten sich ausreichend informiert zeigt über Dub, Comics, Surfpop, Kinogeschichte, Krautrock, Alfred Hitchcock, Blues, Monty Python, Disco, Andy Warhol, Rockabilly oder den österreichischen Kunsthistoriker Ernst Gombrich. Vielmehr kommt der notorische Eklektizismus des Gegenwartspop hier so leichtfüßig und tanzbar daher, als wäre das Bescheidwissen die natürlichste Sache der Welt.

Vielleicht hat es damit zu tun, dass hier eine echte Band zu hören ist – und nicht der Effekt einer Software. Was von Geringeren am Computer gesampelt wird, empfinden Django Django mit den Nerven des Kollektivs nach: Alles ist hier durch Hände, Arme, Finger, Münder und andere sensitive Welterschließungsorgane hindurchgegangen.

Seinen Anteil am Gesamtsound hat aber sicher auch der vielarmige Schlagzeuger David MacLean. Der Chef der Gruppe ist der jüngere Bruder von John MacLean, dem Elektroniker der geistesverwandten Beta Band. Seine raffiniert treibenden, oft vielschichtig aufgetürmten Rhythmusgeflechte sind das Korsett, das bei Django Django alles Zentrifugale zusammenhält. Händeklatschen, Schellenkranz oder galoppierende Kokosnusshälften – der Zweck des Groove heiligt jedes Mittel, und sei’s auch der Trickkiste einer Musikschule entnommen.

Überhaupt ist es ein kindlicher Spaß, der hier aus allem spricht: den Keyboardflächen, den Gitarrenfiguren, den Serpentinen aus Sinuskurven mit all ihren Ab- und Umwegen im Hintergrund; dem albernen Bandnamen, der sich auf eine Anekdote über den stotternden Lehrer des Jazzgitarristen Django Reinhardt stützt. Schließlich den Texten, die das Offensichtliche noch einmal in ein gesungenes Bekenntnis verwandeln: „Forget about the course / Press rewind and stop and pause / It’s like a default„.

Django Django beweisen mit ihrem Debüt, dass stilistischer Maximalismus, wenn er sich nicht selbst im Wege steht, zu ebenso tanzbaren wie intellektuell befriedigenden Ergebnissen führen kann. Doch das ist schon wieder viel zu theoretisch empfunden.

Praktisch handelt es sich einfach um extrem cleveren, extrem zugänglichen und extrem erfrischenden Pop. Das Rad wird hier nicht neu erfunden, aber doch beherzt wieder in Schwung gesetzt.

„Django Django“ ist erschienen bei Because Music/Alive.

Aus der ZEIT Nr. 26/2012