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Jäger des verlorenen Klangs

 

Der Kammerpop von Grizzly Bear meditiert zwischen Folk, Jazz und Pop. Die Band aus Brooklyn zeigt, wie man im allerbesten Sinn das Bestehende kuratieren kann.

© Tom Hines/Beats International

In dieser Platte kann man sich häuslich einrichten. Es gibt Ecken, in denen man schlafen möchte, und Fenster, die sich ins Weite öffnen. Stundenlang kann man bei einem einzigen Song verweilen oder von Raum zu Raum schlendern, wie in einem guten Museum. Und nach Wochen wird man noch etwas Neues entdecken, ein durchdachtes Detail oder ein verstecktes Zitat, obwohl auf den ersten Blick alles so schlicht und luftig erschien.

Shields ist das erste Album von Grizzly Bear, seit das Quartett aus Brooklyn 2009 mit dem frickeligen Kammerpop von Veckatimest seinen Durchbruch erlebte. Während die Szene von damals, bestehend aus befreundeten Bands wie Animal Collective oder Dirty Projectors, sich längst in alle Himmels- und Stilrichtungen zerstreut hat, haben Grizzly Bear vor allem an Höhe gewonnen.

Folk ist hier Fundament für den Versuch, andere Genres so schonend anzudocken, dass er keinen Schaden nimmt. Alles scheint möglich, solange es sich mit männlichen Gesangsharmonien und handgemachter Holzfällerhemdsärmeligkeit verträgt.

So beginnt das Album mit einem angetäuschten Bekenntnis zum progressiven Rock, mit komplexen Rhythmusverschiebungen und einem Duell zwischen Gitarre und Orgel. Weil aber nichts kann, wer nur sein Können ausstellt, endet Sleeping Ute bei einer verträumt daherschunkelnden Melodie auf der Akustikgitarre, die von den Fleet Foxes entlehnt sein könnte.

Yet Again könnte von den frühen Supertramp stammen, würde es am Ende nicht in einer kakofonischen Dissonanz zertrümmert. Das ohnehin lichte What’s Wrong verklingt, kaum dass es seinen Puls verloren hat, für volle zwei Minuten in weitmaschigem Freejazz, wie wir ihn von den späten Talk Talk kennen. Und das finale Sun In Your Eyes beginnt mit einem zarten Nichts auf dem Piano, bevor es sich zu hymnischem Bombast auftürmt – und sich zuletzt wieder in ein zartes Nichts verflüchtigt.

Die Musiker schöpfen aus einer Fülle unterschiedlichster Einflüsse, die sie mit nonchalanter Selbstverständlichkeit in einen harmonischen Hauptstrom münden lassen. Das Ergebnis ist eine Klanginstallation von enormer Tiefe, die, weil komprimiert, tatsächlich wie Popmusik gehört werden kann. Das Geheimnis ist, dass man den Aufwand einer dreijährigen Arbeit für keine Sekunde hört. Das ist es, was Künstler heute sein müssen: Kuratoren dessen, was es schon gibt.

„Shields“ von Grizzly Bear ist erschienen bei Warp/Rough Trade.

Aus der ZEIT Nr. 41/2012