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Hits kann sie noch

 

Alicia Keys weiß noch immer, wie man einen guten Popsong schreibt. Auch wenn das auf ihrem neuen Album zugunsten prominenter Gäste nebensächlich wird.

© Nino Munoz

„Mädchen in Flammen“, übersetzte jüngst ein Radiomoderator den Titel von Alicia Keys‘ neuer Single Girl On Fire. Das ist natürlich Unsinn. Jemand, der on fire ist, hat einen Lauf, ihm gelingt einfach alles. Auf die 31-jährige New Yorkerin scheint das in letzter Zeit zuzutreffen: Sie ist Mutter geworden, schauspielert, setzt sich für Aidskranke ein, produziert am Broadway, dreht Kurzfilme und entwirft Sportschuhe. Kürzlich hat sie mit Boxen begonnen.

It’s just a brand new kind of me„, singt sie im ersten Stück auf ihrer neuen Platte, das ganz im Zeichen von Emanzipation und Veränderung steht. Diese zeigt sich auch äußerlich: Die langen Haare sind ab, Keys trägt nun eine Bobfrisur. Doch in welcher musikalischen Form ist die Sängerin, die mit den Stücken Fallin‘ und No One hierzulande ihre größten Erfolge feierte?

Brand New Me von AliciaKeys

Ihre Altstimme klingt etwas dünner, zuweilen gar brüchig, das kann auch das Echo nicht verdecken. Nein, so richtig heiß ist sie nicht. Der Glanzpunkt des neuen Albums ist das bombastische Titelstück, dessen Refrain im Ohr klebt: fantastischer Gesang, ein Flügel und eine karibische Trommel, die klingt als hätte sie den Umfang des Madison Square Garden – mehr braucht es nicht. Warum Nicki Minaj dazu irgendwas über den Geist Marilyn Monroes rappt, der mit ihr vom Balkon springen möchte, bleibt schleierhaft.

Neben Minaj stehen noch viele andere auf der Gästeliste: Von Dr. Dre bis Frank Ocean darf fast jeder mal ran. Jamie Smith von The xx lässt die Synthies klingen als liefen sie mit Helium statt mit Strom. Für die Klaviernummer Listen To Your Heart hat Keys John Legend eingeladen. Das Stück plätschert jedoch so gefällig dahin, dass man sich die gleichnamige Powerballade eines schwedischen Popduos mit X herbeiwünscht. In Richtung Schlafzimmer bewegt sich das tolle Neo-Soul-Duett mit Maxwell, der offensichtlich noch höher singen kann als Keys. Und das texanische Blueswunderkind Gary Clark Jr. steuert die E-Gitarre bei.

New Day von AliciaKeys

Zuweilen wirkt es, als wolle Alicia Keys hauptsächlich zeigen, wer alles mit ihr zusammenarbeiten möchte. Und als vergesse sie darüber, Songs zu schreiben, die mehr sind als Stilübungen. Muss es denn unbedingt Bruno Mars sein, der einmal im Hintergrund singt? Anderswo beweist sie, dass sie auch Dancehall kann, und zitiert kurz das One-Hit-Wonder Diana King.

Zumindest als Pianistin ist Alicia Keys doch so virtuos, dass sie auf manch Beiwerk gut verzichten könnte. Oft fehlt ihr der Mut zum Minimalismus: Wenn ein Genie wie Babyface die Westerngitarre zupft, braucht man keine Beatmaschine, die darüber stampft.

Die Stücke, die sie mit der schottischen Soulsängerin Emeli Sandé komponiert hat, fallen durch ihre Schlichtheit positiv auf. Wenn Keys in 101 darüber singt, sich in einen notorischen Herzensbrecher verliebt zu haben, flüstert sie fast zum Klappern der Klavierpedale. Und im großartigen Not Even The King lässt sie die Finger von all den programmierten Drums und Keyboards und zeigt, dass sie sich doch nicht so leicht ablenken lässt vom Wesentlichen: einen guten Song zu schreiben.

„Girl On Fire“ von Alicia Keys ist erschienen bei RCA/Sony.