Tyler, The Creator könnte einer der großen Rapper seiner Generation werden. Sein drittes Album „Wolf“ zeigt den Weg, schöpft aber noch nicht alle Möglichkeiten aus.
Ein junger Mann beißt in eine Kakerlake, übergibt sich, reißt sich das Hemd von der Brust und erhängt sich. Mit dieser Szene betrat Tyler, The Creator vor zwei Jahren die Weltbühne. Das Video zu Yonkers haben bis heute fast 60 Millionen Menschen gesehen. Es folgten kontroverse Diskussionen um seine Texte, ruppige Fernsehauftritte, ein weltumspannender Hype um ihn und seine Gang Odd Future. Und man musste sich schon fragen: Was soll da noch kommen?
Jetzt erscheint Wolf, das dritte offizielle Album des mittlerweile 22-jährigen Amerikaners. Fast schon stillschweigend, ohne ausgefeilte Medienkampagne – dabei ist Tyler bei einem der wenigen großen Labels, die es überhaupt noch gibt. In Interviews hat er die neue Platte des Öfteren als Scheiß bezeichnet. Das wirkte sich auf die meisten Künstlerkarrieren eher kontraproduktiv aus. Nicht so auf Tylers.
In einem Genre, das überdimensionale, ins Comichafte ragende Charaktere nicht nur anzieht, sondern selbst generiert, nimmt er eine Sonderstellung ein. Man muss ihn wohl eher als Personality begreifen, er bespielt alle Kanäle. Ein augenrollender, grimassierender, brüllender Charismatiker mit depressiven Schüben, Neurosen und nahezu grenzenloser Kreativität: Neben der Produktion eigener Tracks hat er ein Label geführt, Videos gedreht, eine Show fürs amerikanische Kabelfernsehen entwickelt. Er malt, fotografiert und plant einen Film. Und er findet sein aktuelles Album eben scheiße.
Es mag nur ein koketter Spruch sein, doch genau diese vage Punkattitüde hat ihn zum Vorbild seiner jungen und jüngeren Fans gemacht. Seine Reputation gestärkt hat sicherlich auch die Aufregung um seine Texte, die oft misanthropisch, sexistisch, gewaltverherrlichend aber eben auch intelligent sind.
Wie also klingt nun Wolf? Nun, ganz nach Tyler – es ist kompliziert. Gedämpft rappt er über Geld (reichlich), Sex mit Models (andauernd), kiffen (ununterbrochen) und seine Fans (viele). Hip-Hop-Pflichtprogramm.
Es gibt unzählige Musiker, die wahrgewordene Aufsteigerträume unterhaltsam erzählen, mit ungläubiger Euphorie, den Fantasien zwischen Omnipotenz und Irrsinn. Tyler aber macht es anders. Seine Geschichten sind erfüllt von kalter, bedrohlicher Leere. Wenn er sein vierstöckiges Eigenheim beschreibt, sieht man ihn einsam und winzig die endlosen Treppenstufen erklimmen, nur um irgendwann mal das Dach zu sehen. Dieses neue Haus erscheint immer wieder auf diesem Album, ein Sinnbild für Tylers Wanken zwischen Stolz und Großmut, Angst und Isolation. An diesen sehr menschlichen Emotionen lässt er uns teilhaben. In der Komplexität der Darstellung nicht gerade Hip-Hop-typisch.
Noch vor drei Jahren schlief er auf der Couch seiner Großmutter im Keller. Doch seinen zügigen Aufstieg und den Auszug in die Villa kann er nicht feiern. In eindringlichen Bildern erzählt er nun, wie er seine sterbende Großmutter zum letzten Mal im Krankenhaus besucht. Er beschreibt die Atmosphäre, den schneidenden Luftzug, die Laken, seine Unfähigkeit, Augenkontakt mit der Frau aufzunehmen, die ihn aufgezogen hat.
In diesen Momenten deutet sich an, in welche Richtung Tyler, The Creator weitergehen könnte: Er könnte einer der großen Rapper seiner Generation werden. Wenn er seine Aufmerksamkeit nur ganz der Musik widmete.
Im Moment schließt er lediglich an das Vorgängerwerk Goblin an: knochentrockene Beatgerüste, reduziertes Synthesizerquietschen, vereinzelte Gitarren. Tyler schöpft aus einem begrenzten Repertoire, nur hin und wieder wendet sich der Sound ins Jazzig-Verhangene. Selbst die prominenten Gäste (Erykah Badu, Pharrell Williams, Laetitia Sadler von Stereolab) werden unauffällig in den Gesamtklang eingegliedert. Was er bisher im Keller ganz allein zusammenbastelte, formt sich jetzt in überteuerten Studiokomplexen. Zwangsläufig werden die rohen Naturkräfte früherer Alben domestiziert. Der Dreck ist weg. Dafür klingen die Bässe satter.
Dennoch: Achtzehn Songs sind einfach zu viel, einige Stücke retten sich ins Monotone, andere plätschern allzu unaufgeregt dahin. Es fehlen der Ausreißer, die Dringlichkeit, es fehlt natürlich der alles entscheidende Hit mit dem alles zerstörenden Video. Es fehlt der Kakerlaken-Moment.
Möglicherweise möchte sich Tyler bewusst von diesen Schockmomenten distanzieren und sucht nach einer neuen Identität. Vielleicht ist für einen Mann mit so vielen Talenten ein Album aber eben auch nur ein Album.
„Wolf“ von Tyler, The Creator ist erschienen bei Sony Music.