Die Stimme von Katie Stelmanis hört man einmal und vergisst sie nicht mehr. Gut oder schlecht? Unser Autor ist sehr angetan vom neuen Album ihrer Band Austra.
Dass sich eine Band nach einer Göttin der lettischen Mythologie benennt, ist nicht gerade ein Garant für den internationalen Durchbruch. Wenn die Sängerin selben Namens allerdings eine der faszinierendsten Stimmen der aktuellen Popmusik mitbringt, erhöhen sich die Erfolgschancen deutlich.
Katie Austra Stelmanis ist die Frau, die der kanadischen Band Austra Gesicht und Stimme gibt. Lose It hieß der Song, in dem sie vor zwei Jahren ihren feuerwehrsirenenhaften Gesang auf tänzelnde Synthesizer-Klänge setzte, so hochfrequent und betörend, dass selbst die Königin der Nacht als Referenz herhalten musste. „Bekloppt, nervtötend und großartig“, nannte Der Spiegel das Stück.
Überhaupt diese Frau, diese Band: In ihren Videos gaben sich Austra versponnen und mystisch entrückt, in ihren Songs dominierten düstere elektronische Klänge. Dazu Stelmanis‘ eigensinnige und schmerzhaft durchdringende Stimme, früh geschult im Kinderopernchor. Schnell nannte man das „Electro Goth“ und imaginierte sich in neblige Waldlandschaften neben weihrauchschwenkenden, verschleierten Gestalten. Zum Berliner Konzert fand man sich passenderweise im Tempel der elektronischen Düsternis ein, dem Technoclub Berghain.
Auf dem zweiten Album Olympia weichen nun Morbidität und dumpfe Schwere einer neuen Beschwingtheit. Die Songs eignen sich eher zum Tanzen als zum vergeistigten Dahinschweben, der Wille zur eingängigen Melodie zeichnet sich häufiger ab als noch beim Erstlingswerk Feel It Break. Soll das jetzt etwa Disco-Pop sein? Tracks wie We Become und Annie mit ihren Harmonien zwischen Lieblichkeit und Weltumarmung schüren diesen Verdacht – und klingen zugleich wie Reminiszenzen an den Achtziger-Jahre-Detroit-Techno mit seinen analogen Synthesizern und Drum-Computern.
Stelmanis‘ präsente Stimme bleibt dabei zu jeder Zeit Hauptbezugspunkt des inzwischen sechsköpfigen Kollektivs aus Toronto. Ihr Timbre ist ein Phänomen. Von schrillen, hymnischen Höhen wechselt sie auch auf Olympia im Nu in einen Beschwörungsgestus und düstere Tiefen. Meist changiert sie zwischen nöliger Knarzigkeit und weinerlichem Ernst.
In der beim Versandhandel so beliebten Kategorie Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch finden sich im Fall von Austras Debüt die Alben von The Knife und Fever Ray, den Projekten der Schwedin Karin Dreijer Andersson. Die Stimmen von Stelmanis und Andersson ähneln sich in ihrer Brüchigkeit, gerade im neuen Austra-Song Forgive Me wird das deutlich. Die Schönheit beider Stimmen liegt nicht in ihrer Klarheit, sondern dem Schmerz, den sie transportieren.
Die Musik unter der Stimme bleibt bei Austra häufig souverän gebauter, aber handelsüblicher Dance-Pop, dessen Beats hämmern, trappeln und dahinpluckern. Analog werden sie angereichert durch Maya Postepskis Schlagzeug und die Bassgitarre von Dorian Wolf. Conga-Trommeln und Marimba setzen der Synthetik Wärme entgegen. Sari und Romy Lightmann schaffen als Backgroundsängerinnen einen sanften Kontrast zu Stelmanis’ markanter Stimme. Überraschend gefällig flirren die synthetischen Sounds dahin.
Die zündenden Momente sind auf Olympia nicht so zahlreich wie auf dem Erstlingswerk, seltener entstehen Spannung und Dramatik durch Brüche innerhalb der Songs. Eine Ausnahme ist da die erste Single Home, die sich als Klavierballade anpirscht und deren Pathos sich in der Folge in verspielter Elektronik verliert.
Austra sind – das darf noch Erwähnung finden – ein queeres Bandprojekt, Stelmanis und Postepski sind beide lesbisch. Das fällt nicht sofort auf, weder ihr Gestus noch die Musik transportieren eine demonstrativ queere Ästhetik. Vielmehr fließt es angenehm beiläufig in die Songs ein, die von universellen Themen wie Sehnsucht und Einsamkeit erzählen. Aber eben auch vom Aufwachsen als Homosexuelle in einer Kleinstadt und von der Suche nach Trost bei der Liebhaberin.
Was Austra von den Myriaden anderer Elektropop-Bands unterscheidet, ist die Art, mit der sie Überschwang und Schwermut verbinden, die Dialektik ihrer Stücke: Jeder lockere Song hat seine dunklen Seiten, jeder finstere auch seine lichten Momente.
„Olympia“ von Austra ist erschienen bei Domino Records.