David Lynch wird für seine erratischen Filme verehrt. Nun veröffentlicht er sein zweites Soloalbum: In der Musik ist es ein schmaler Grat zwischen rätselhaft und todlangweilig.
David Lynchs neues Album ist eine Zumutung. Natürlich. Was hatte man auch erwartet? Beschwingten Dancepop? Einfühlsames Singersongwritertum? Lars von Trier und Michael Haneke werden nie gemeinsam einen Vergnügungspark eröffnen, und obskur und versponnen bleibt, was immer ihr Regiekollege an künstlerischen Produkten in diese Welt entlässt.
Wie der Begriff „kafkaesk“ in die deutsche, so ist das Wort „lynchian“ in die amerikanische Sprache eingegangen. Es meint eine morbide Stimmung und das Surreale jener Gestalten, die Lynchs Gemälde und Filme bevölkern. Lost Highway, Mulholland Drive oder zuletzt Inland Empire: Traum und Wirklichkeit lassen sich dort nie klar voneinander abgrenzen, die unbewussten Mächte der Psyche bemächtigen sich der Figuren. Auch im jüngst veröffentlichten Musikvideo zu Came Back Haunted von Nine Inch Nails bleibt Lynch als Regisseur seiner verstörenden Bildsprache treu.
Manchen faszinieren die Werke in ihrer Rätselhaftigkeit, manchen stößt gerade sie ab. Lynch hat wahre Apologeten, und man kann sich nie ganz sicher sein, ob sie es nicht einfach nur schick finden, den wirren Mann mit dem wirren Haupthaar seiner Wirrnis wegen zu vergöttern.
Im November 2011 präsentierte der selbsternannte „non-musician„ den Ergebenen sein erstes Soloalbum Crazy Clown Time. Er gab der Gemeinde das, was sie erwarten durfte: 14 Songs, die allesamt als Untermalung seiner Filme geeignet wären. Die klangen, als würde ein missgelaunter Gnom in einer großen Badewanne voll düsterer Elektronik planschen und dabei Selbstgespräche führen.
Im ersten Song gesellte sich Karen O von den Yeah Yeah Yeahs zum Kobold in die Wanne und sang in Pinky’s Dream ein wenig Leidenschaft in all den Wahnsinn. Als ihr das Badewasser zu kalt und die Gesellschaft zu fad geworden war, blieb das schlecht gekämmte Wesen allein zurück, zupfte ein wenig an der Gitarre herum, bediente den Synthesizer und das Omnichord, eine elektronische Zither aus den achtziger Jahren.
Der Gnom ist nun im Bett geblieben. Er fühlt sich nicht gut. Weil er denkt, es könnte gegen sein Unwohlsein helfen, hat er Valium genommen. Wo vorher zumindest hin und wieder der gute Wille aufschien, dem Hörer eine gefällige Melodielinie oder gar den Hauch von Eingängigkeit zu schenken, da begnügt sich Lynch jetzt auf The Big Dream mit den Andeutungen musikalischen Gestaltungswillens.
Alles wirkt irgendwie lustlos und zufällig zusammengefrickelt. In Star Dream Girl wird ein wenig auf der Bluesgitarre gegniedelt. Der eine Song ist langsamer, der andere nimmt mehr Tempo auf. Der eine stampft, der andere klackert. Eintönigkeit zieht sich beinahe durch jeden von ihnen. Auch vor Bob Dylans The Ballad of Hollis Brown macht sie nicht Halt, dem einzigen Song, der nicht aus Lynchs Feder stammt.
The Big Dream ist nicht mehr nur versponnen, dieses Album ist musikalisch todlangweilig. Meist erschöpfen sich die Songs in einer dumpfen Basslinie und ein paar wahllos gesetzten oder eintönig dahinklöppelnden Beats. Übersteuern macht Spaß, denkt sich Lynch noch und brabbelt weiter ins Mikrofon.
Wer seiner Musik viel Gutes will, könnte Spuren von Trip-Hop wittern. Es braucht ja eigentlich gar keine aufwendigen Mittel, um Atmosphäre zu schaffen. Das haben die Melancholiker von The XX mit ihrem konsensfähigen Dreampop zuletzt auf zwei Alben bewiesen. Aber auch musikalische Düsternis kann Abwechslung bieten. Sie darf Spannungsmomente mitbringen. Und sollte sich nicht darauf verlassen, Mystik allein durch einen trantütigen Lo-Fi-Sound erzeugen zu können.
Das wahrhaft Ärgerliche: Man ahnt, dass da mehr ginge. Wishin‘ Well ist geradezu catchy, man muss es so sagen. Es gibt eine erkennbar zielgerichtete Komposition, ein- und aussetzende Beats, rhythmisch wabernde Elektronik. Ja, der Track ist richtig gut. Dass Lynch dazu einen zwar kryptischen, dann aber doch nicht so richtig tiefsinnigen Text herunternölt, verzeiht man. Zu verstehen ist eh kaum etwas davon.
So richten sich die letzten Hoffnungen auf den von einer Frauenstimme getragenen Bonustrack I’m Waiting Here. Vergeblich. Wo Karen O auf Lynchs Erstling noch kraftvoll gegen das Wummern ansang, da hat die Schwedin Lykke Li selbst schon zu ausgiebig vom Valium genascht, als sie ans Mikro tritt. Viel mehr als ein etwas gefälligeres Outro der Platte gelingt auch ihr nicht mehr.
Lynch möchte „modernen Blues“ machen, so ließ er verlauten. Mit gutem Willen ist es erratisch oder entrückt zu nennen, was er auf seinem zweiten Soloalbum darlegt. Mit weniger Nachsicht ist es einfach unerträglich öde.
„The Big Dream“ von David Lynch erscheint am 12. Juli bei Pias UK/Sunday Best.