Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Wellness klang mal richtig aufregend

 

Nightmares On Wax und ihr Label Warp Records haben Popgeschichte geschrieben. Angesichts ihres neuen Albums kann man sich gar nicht vorstellen, dass dieser Sound mal revolutionär war.

© Warp
© Warp

Sanft pluckern die Beats, angenehm massiert der Bass den Bauch, entspannt schmeicheln die Stimmen. Ja, es ist kaum zu fassen, aber Nightmares On Wax waren mal nicht nur angesagt, sondern der heißeste Scheiß im Universum. Diese Musik, die auf dem neuen Album Feelin‘ Good so schluffig klingt, als hinge sie am liebsten wie ein kariertes Baumfällerhemd vom Kleiderbügel im Second-Hand-Shop, war tatsächlich mal spannend.

Das ist, zugegeben, auch schon eine Weile her. Man schrieb das Jahr 1989 und während man sich hierzulande damit beschäftigte, wie, warum und wann man ein paar Betonteile umlegen sollte, schraubten George Evelyn und Kevin Harper in Leeds einen Track zusammen, der die Welt verändern würde. Die beiden nannten sich Nightmares on Wax, sie fanden zwei weitere Verrückte, die extra für diesen einen Track eine Plattenfirma gründeten, und heute gilt Dextrous als bahnbrechendes Stück Musik.

Das liegt zum einen daran, dass Dextrous an der Wiege von Warp Records stand, das mit Veröffentlichungen von Aphex Twin, LFO oder Boards of Canada zum vielleicht bedeutendsten Label in der Geschichte der elektronischen Musik wurde. Und zum anderen, weil dieser Track jenen Moment markiert, in dem Acid Jazz, wie er damals noch hieß, oder Techno, wie er bald salopp heißen sollte, sich von seiner bis dahin dominierenden Funktionalität emanzipierte und Musik wurde, die man auch einfach hören durfte, ohne zu tanzen. Dieser Prozess war endgültig abgeschlossen, als Nightmares on Wax, die da schon längst nur mehr aus Evelyn bestanden, 1995 Smokers Delight herausbrachten.

Seitdem hat Evelyn als Produzent vor allem immer weiter an der Verfeinerung eines Klangentwurfs gearbeitet, der zwar viele verschiedene Stile kennt, diese aber scheinbar problemlos in ein unaufhörlich swingendes, nicht enden wollendes watteweiches Wohlgefühl an der Grenze zum Filmsoundtrack integriert.

Feelin‘ Good führt, das verspricht ja schon der Albumtitel, diese Idee konsequent fort. Egal, ob Soul oder Dub-Reggae, Trip-Hop, Latin oder Funk, egal, ob ein Saxofon die Führung übernimmt wie in dem stimmungsvollen So Here We Are, oder die laszive Stimme von Katy Gray in Master Plan, egal ob am Computer entstanden oder von Hand eingespielt von versierten Könnern wie dem Keyboarder Robin Taylor-Firth oder dem Schlagzeuger Wolfgang Haffner: Letztlich verbreitet jeder Track dank eingespieltem Vinyl-Knistern, den einschlägigen Samples und entsprechender Abmischung eine Stimmung wie eine Jazzplatte aus den fünfziger Jahren.

Zum Abschluss dann, in Om Sweet H(Om)e versucht Evelyn, der mittlerweile auf Ibiza lebt, dann doch noch ironische Distanz zum eigenen Schaffen herzustellen. Eine Männerstimme brummelt „Om“, während Glöckchen bimmeln, ein Klavier herzallerliebst claydermannt und einem vor lauter Esoterik ganz blümerant wird. Denn auch das haben Nightmares On Wax zu verantworten: dass aus ihrer abgeklärten Electronica später schmucke Soundtapeten für Vernissagen wurden und daraus wieder jene entleert vor sich hin wallende Wellness-Musik fürs Bewegungsbad in der Reha-Klinik.

Ja, nicht zu fassen, dass diese Musik einmal aufregend war.

„Feelin‘ Good“ von Nightmares On Wax ist erschienen bei Warp Records/Rough Trade.