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Denn der Gegner ist mächtig und stumpf

 

NSA, Gentrification, Global Village – Who’s Bad? Die Goldenen Zitronen geben keine linken Parolen aus, sondern zermalmen das System zwischen den Textzeilen ihres neuen Albums.

© Frank Egel
© Frank Egel

Man kann dem fetten faulen Comic-Kater Garfield bestimmt nicht nachsagen, den gesellschaftspolitischen Fortschritt der Menschheit vorangetrieben zu haben. Ein Satz von ihm aber bleibt dem kollektiven Gedächtnis auf dem Weg zu einem besseren Miteinander auf ewig erhalten: „Wenn du deinen Gegner nicht besiegen kannst“, beschrieb er seinen Kampf mit dem Alltag, „verwirre ihn“.

Nun sind Die Goldenen Zitronen weder fett noch faul geschweige denn gesellschaftspolitisch rückständig. Und doch ist Garfields Devise nicht bloß ein kreatives Stilelement der hanseatischen Avantgardepunks – es ist ihr Strukturmerkmal. Seit fast 30 Jahren schon singt das wechselnd personalstark besetzte Kollektiv mit Ursprüngen in – wo sonst im erweiterten Hamburger Schulumfeld? – Bad Salzuflen gegen Staat und Kapital, Bullen und Bonzen, den ganzen militärisch-industriell-kommerzkulturellen Komplex an. Und man muss seit ihrem Wechsel vom Funpunk früherer Tage zum aktuellen Diskursrock schon bekifft oder studiert, am besten beides sein, um in den absurden Texten eine konkrete Stoßrichtung, gar Sinnhaftigkeit zu erkennen. Das ist auf dem neuen Studioalbum nicht anders. Im Gegenteil.

„Schaut her, ich bin Freak“, krächzt Schorsch Kamerun auf Who’s Bad so disharmonisch wie nahezu reimfrei aus dem minimalistischen Geschrammel seiner Begleitmusiker um den Mitgründer Ted Gaier hervor, „Als ein besserer Entwurf / Aber das ist nicht mehr freiwillig / Oder selbstbewusst / Anhänger oder abhängig / Bei all den geilen Möglichkeiten“. Ah ja. Das ist exaltierte Dada-Poesie, irgendwo zwischen Jacques Derrida und Kurt Schwitters, also kaum entschlüsselbar, also schwer zugänglich, also durch und durch krude, also einfach großartig!

Denn der Gegner ist mächtig und stumpf. Er denkt in Slogans und Parolen. Er will alles und gibt dafür nichts. Er verachtet den Geist und liebt das Geld. Er will – kurzum – keine Logik, er will Affekte. Und dem, das lehren all die schlecht besuchten Latsch- und Rufdemos durch polizeiflankierte Konsummeilen der Mehrheitsgesellschaft, ist mit klaren Worten zu klaren Tönen nicht beizukommen. Also ruft die elfte Goldies-Platte abermals keine Latschparolen, sondern Zwischenzeilenlyrik, die versteht, wer sie verstehen will, und ignoriert, wer dazu zu fett, faul oder blöde ist.

Gentrification ist Scheiße? Kamerun singt im Klanggewand verstörenden Elektrowaves „Wir haben genau den richtigen Deal / Ihr habt urwüchsigen Flair / Wir regeln den Verkehr“. Die Welt verkauft sich selbst als global village? „Ich betrete einen Kampfhubschrauber / um einmal um die Welt zu reisen / Doch am Ende der Berichtsmission / Gänzlich gar nichts vorzuweisen“. Big Brother NSA? „Es hieß: Privates muss politisch sein / Jede ist für alle heute Öffentliches / Jeder ist für jeden Familiäres.“ St. Pauli in Investorenhand? „Rote Flora / Wir vergessen euch nicht.“ Jede Zeile kryptisch, Insiderwissen, ein Fanal.

Diese Art soziokultureller Antipolitik von ganz weit links mag selbst Gesinnungsgenossen als verstiegen erscheinen. Wer sich da reinliest, reinhört, reindenkt, betritt einen Kosmos erweiterten Denkens, der selten geworden ist, fast ausgestorben. Punk’s doch not dead, Punks verstehen.

„Who’s Bad?“ von Die Goldenen Zitronen ist erschienen bei Buback.