Hach, diese Worte, diese Stimme. Er ist vielleicht Deutschlands bester Songschreiber. Mit seiner Band Die Höchste Eisenbahn hat der Berliner ein neues Album aufgenommen.
Es gibt so Stimmen, die sucht irgendwann in fast jeder Liedzeile, wer sie irgendwo mal gehört hat. Einmal in den Kopf gedrungen, kreist ihr Klang so lange darin umher, bis man sich förmlich auf die Jagd nach ihr begibt. Stimmen, die so schön, so echt, so ernst und fröhlich und traurig und euphorisch und ruhig und laut und alles oft in nur einer Textzeile sein können, dass man den dichten Mischwald zeitgenössischer Musik fast zwanghaft nach dieser einen zarten Pflanze durchforstet und unruhig wird, je länger sie unauffindbar bleibt.
Moritz Krämer hat eine Stimme mit solch einem Timbre, das weit mehr macht, als bloß Musik zu vokalisieren. Sie zu hören kann schnell eine Sucht werden.
Eine unerfüllte Sucht. Denn mehr als zwei endlos lange Jahre hatte uns der Multioptionskünstler aus Berlin auf Entzug gesetzt. Hatte uns allein gelassen mit der Heavy Rotation seines Debütalbums Wir können nix dafür, das die Emotionen einer halben Generationen urbaner Thirtysomethings mit Kindern im Stall aber Flausen im Kopf so gekonnt vertont hat wie zuvor höchstens ein Beck auf der anderen Seite der See oder weiter nördlich Mike Skinner. Nur dass der Großbritanniens brillantester Rapper ist, nicht Deutschlands brillantester Singer/Songwriter.
Nun hat Moritz Krämer das Flehen erhört und ist zurückgekehrt. Diesmal nicht allein (das war er solo allerdings auch nicht richtig), sondern im Kollektiv mit Max Schröder (Tomte), Felix Weigt (Kid Kopphausen) und dem Tele-Kopf Francesco Wilking. Es heißt Die Höchste Eisenbahn, über deren Namen wir kurz den Mantel des Schweigens hüllen, weil das, was dahinter steckt, weder PR noch Klamauk benötigt.
Ähnliches könnte man auch vom Albumtitel behaupten, wäre Schau in den Lauf Hase mit anschließender Forderung nach „lauf Hase / lauf Hase“ nicht längst schon wieder ein Exzerpt dieser wunderbaren Sprachverliebtheit des Liedermachers, der Alltagsgedanken so traumwandlerisch zu klugem Songwriting macht. Im karibischen Pop des späten Paul Simon drückt sich da die Schläfrigkeit der dauerprokrastinierenden Großstadtboheme aus, in der sich wieder findet, wer auch nur einmal ziellos war und antriebsarm.
Um das zu genießen, die Rückkehr Moritz Krämers nämlich, muss man sich allerdings kurz gedulden. Im Auftaktstück Egal wohin verwischt seine Stimme noch im Doppelgesang mit Kollege Wilking. Das ist zwar schön schwitziger Achtziger-Jahre-Saxofon-Discopop mit Unterstützung illustrer Gäste, von Judith Holofernes bis Gisbert zu Knyphausen, aber ebenso wenig krämeresk wie das anschließende Body & Soul: hübscher Trash, versiertes Durcheinander, kein Moritz.
Der stellt sich erst in Aliens an die Bühnenkante, endlich, und erzählt famos nuschelnd wie eh und je von gewöhnlichen Wochentagsbegegnungen mit Außerirdischen, wie sie wohl niemand sonst mit so nonchalanter Schnodderigkeit, so viel Eleganz und Kraft um Unfertigen erzählen kann. 13 Stücke lang geht das so und geht dabei zu Herzen wie sonst fast nichts in dieser Sprache. Das Warten hat ein Ende.
„Schau in den Lauf Hase“ von Die Höchste Eisenbahn ist erschienen bei Tapete.