Bloß kein einlullendes Weihnachtstralala! Wer ein Geschenk für linke Konsumverweigerer sucht, sollte das neue Album der Kölner Punkhelden Guts Pie Earshot bedenken.
Ob Musik politisch ist, lässt sich meist gut am Text erkennen. Den uraltlinken Wanderfalken Hannes Wader misszuverstehen, ist demnach ähnlich ausgeschlossen wie, sagen wir, Heino für progressiv zu halten. Worte machen eben Lieder.
Nur: Wie ist es mit der Aussagekraft des Instrumentellen selbst? Hört man Prokofjew und Schostakowitsch die Abneigung gegen Stalin am Arrangement an wie Störkraft oder den Böhsen Onkelz das Rechte am Riff? Anders gefragt: Was bitte ist links an Guts Pie Earshot?
Alles!
Die zum Duo geschrumpfte Band ist ideologisch so radikal wie Musik nur sein kann. Vor 20 Jahren aus Kölns autonomer Szene entsprungen, versorgte sie zunächst fünfköpfig ihr dezidiert rotbuntes Publikum mit einer schwitzigen Mixtur aus Dubtech, Hardcore, Folkmetal, was gern als Punk ’n‘ Bass apostrophiert wurde. Es war der Sound für die wahre Liebe im Falschen, eine melodramatische Gefühlsanalyse unterm Wasserwerfer des Schweinesystems sozusagen, dem Anneke Pohl seinerzeit eindrucksvoll die Leviten sang.
Dann aber ging sie, die Stimme, 1998 bereits. Das Herzstück des Projekts neben Patrick Cybinskis stilbildendem Cello war fort und es passierte – nichts. Guts Pie Earshot machten einfach weiter. Ohne Worte.
Zunächst bassbegleitet, längst nur noch mit aberwitzig verzerrtem Streichinstrument unterm Bombenhagel von Jean Jacobis Hochtemposchlagzeug, vollzieht sich auch auf dem zehnten gesanglosen Album Amparo Fugaz Erstaunliches: Man meint unterm Cello, das zuweilen klingt wie ein ganzes Death-Metal-Orchester, die Vocals zu spüren, als riefen sie ihre Wut über Kapitalismus, Nazis und Bullenstaat unverdrossen zum Moshpit. Als drösche es unvermindert jene Parolen, die der Band mit Frau am Mikro zu plump waren. Ballast. Wahre Renitenz entsteht schließlich im Kontext, statt durch Worte allein.
Das zweite Stück Existence zum Beispiel, wie die anderen zehn live im Studio eingespielt, rollt so bedrohlich über die Köpfe, so zornig, kochend und dabei filigran, als sei jede Note eine Anklageschrift gegen das Unrecht da draußen. Zwischendurch deklinieren Tracks wie Revolt Against nicht nur im Titel den fortwährenden Kampf um Graswurzelbefreiung mit klanglichem Weltmusikvokabular. Im abschließenden Estrella Fugaz dagegen fahren Guts Pie Earshot wieder zurück auf ’93 und regeln ihre Instrumente runter, wie sie es einst im Lichtkegel von Annekes Bühnenpräsenz getan hatten.
Die Frage erscheint beantwortet: Instrumentelles kann durchaus politisch klingen, sofern es den Hörenden genug Assoziationsmaterial zur Hand gibt. Bei GPE wären das hier etwas Dub, dort ein orientalisches Sample, mitunter wütende 200 bpm aufwärts ohne die E-Gitarre als Symbol der männerdominierten Mainstreambühne.
Man mag rechtsrockende Palituchnazis längst nur mit Mühe von linksrockendem Hardcorepunks unterscheiden können – durch Amparo Fugaz walzt eine Aura, die keine Zweifel an der ideologischen Verortung lässt. Es ist die ideale Dosis Aggressivität gegen zu viel Besinnlichkeit unterm Weihnachtsbaum. Das perfekte Geschenk für linke Konsumverweigerer.
„Amparo Fugaz“ von Guts Pie Earshot ist erschienen bei Major Label.