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Aus Hamburgs wütendem Herzen

 

Die Band Fluten spielt auf ihrem Album „Splitter“ tobsüchtig mit dem Zeichensystem von Punk und Hardcore, Metal und Crossover. Ordnungsliebenden Indie-Fans wird da der Kopf dröhnen.

© Flight13/Rookie
© Flight13/Rookie

Referenzsysteme haben gemeinhin so ihre Tücken, nicht nur im Musikgeschäft, aber dort besonders. Wer sich seine Sporen darin erst verdienen muss, ist nämlich gut beraten, vorab mit ein paar griffigen Parallelen zum Bestand aufzuwarten, um nicht im luftleeren Raum des Genres zu verhallen. Zu viele der Ähnlichkeiten mit Alteingesessenen tun Neuankömmlingen aber auch selten gut. Das Produkt braucht ja klare Konturen, sonst ist es bloß, tja, Pop. Die Bass-Schlagzeug-Gitarren-Band Fluten steht so gesehen zwischen zwei ziemlich großen Stühlen.

Einerseits hagelt es für das Quintett aus Hamburg so viele Analogien quer durch die weite Welt harten Rocks, dass ordnungsliebenden Indiefans rasch der Kopf dröhnt vor lauter Verweisen auf Foals oder Blumfeld, At the Drive In, Fugazi, gar Papa Roach oder Limp Bizkit. Andererseits jedoch steckt im Debütalbum namens Splitter eine vertrackte Eigenartigkeit, die selbst aufgeschlossenen Ohren den Zugang erstmal verbaut. Und dann noch diese Gattungschiffren: Punk mit oder ohne Post davor, Hardcore natürlich und Nu Metal, bisschen Crossover, bisschen Screamo gar, alles zusammen und nichts davon. Ja, was denn nun?

Das: eine Platte, die dem Alternative-Sound dreier Jahrzehnte diverse Codes und Zeichen fast tobsüchtig entreißt, als gelte es, die Vergangenheit im Steinbruch zu begraben. Um es mit dem Auftaktstück Die längste Zeit auszudrücken: „Mit Tausend Sachen gegen den rasenden Stillstand / Split the Rock / Ohne Kopf durch die Wand“. Diesen Furor haben sich die nicht mehr ganz jungen Kapuzenpulliträger aus dem heißen Herzen der Hansestadt dort antrainiert, wo es manchmal wirklich zu brennen beginnt: im Keller der Roten Flora, dieser Kaderschmiede autonomer Renitenz.

Hier findet der ganz weit linke Subtext durchweg lyrischer Lieder seine Brutstätte, die verschlüsselte Agitprop-Prosa von „No chance to defend / No logic, no system“ bis „Die längste Zeit ist reif / We break into the now“. In dieser Atmosphäre entstehen auch all jene aggressiven Riffs, die sich gern mal ein paar elektronische Spielereien gönnen und fein ziseliertes Picking, im Kern aber stets das große, fette Brett verlegen. Stets angetrieben von Timo Neuschelers stinkewütenden Gebrüll und dem noch etwas stinkewütenderen des Mitgitarristen Christian Schütze.

Gut, Flutens deutsch-englischer Mischgesang, der seit Lindenberg scheinbar nicht tot zu kriegen ist und mit unüberhörbar deutschem Zungenschlag gleich noch ein wenig manierierter wirkt, er vergällt einem manchmal das genauere Hinhören. Doch die Entrüstung über das, was uns umgibt und steuert, über die Verhältnisse und wie sie alles aussaugen, erschließt sich auch wortlos schnell. Das ist trotz allen Zorns oft herzzerreißend gefühlvoll und dabei musikalisch ziemlich ausgereift. Und es klingt am Ende nach allem Möglichen. Vor allem aber klingt es nach Fluten.

„Splitter“ von Fluten ist erschienen bei Flight13