Billobeats und Stänkerparolen: Das Duo Sleaford Mods aus Nottingham beschimpft sein Heimatland mit dem Selbstverständnis der letzten Punkband Großbritanniens.
Welch tolle Proleten waren Noel und Liam Gallagher am Anfang der Karriere von Oasis. Daran erinnern gerade die Feierlichkeiten zum 20. Geburtstag von Definitely Maybe. Manche Beobachter glauben bis heute, dass die Band zu schnell zu Geld kam und dadurch alles versaut wurde, dass Oasis mit der Rolle des ungebetenen Partygasts auch ihren Biss verloren. Sleaford Mods könnte das nie passieren.
Auch Jason Williamson und Andrew Fearn aus Nottingham sind großartige, unverkennbar englische Proleten. Während jedoch Oasis immer danach strebten, den sogenannten einfachen Verhältnissen zu entkommen, hätten Sleaford Mods gern alles noch viel einfacher. Jetzt ist ihr zweites Album Divide And Exit erschienen. Im übertragenen Sinn geht es darauf um angestauten Frust und die Drähte im Hirn, die einem deshalb durchbrennen können. Im wörtlichen Sinn geht es um alles, was aus einem Körper herauskommen kann.
Sleaford Mods sind ordinär, stumpf und sehr gerissen: Divide And Exit steht im Zeichen der Erkenntnis, dass an Musik gerade das Musikalische oft am meisten stört. Das Duo geht deshalb aggressiv unmusikalisch vor. Fearn schuftet sich niemals tot für seine treudoof voranhoppelnden Beats. Er lässt sie leer stehen, damit sich Williamson mit nasaler Giftzwergstimme und robustem Midlands-Akzent darin breitmachen kann. Gnadenlos höhnt der Sprechsänger über Schlauberger, Jammerlappen und andere „wankers„. Man kann ihn sich wunderbar vorstellen bei der gemeinsamen Eichhörnchenjagd mit Mark E. Smith.
Erste Diagnosen glaubten hinter den Billobeats und Stänkerparolen der Sleaford Mods die letzte Punkband Englands und ihren Abgesang auf das Königreich entdeckt zu haben. Das Land ist in zwei Lager aus Privatschulbonzen und Sozialverlierern zerfallen. Die eine Seite versucht mit perfiden Methoden den Status quo aufrechtzuerhalten. Die andere ist erstarrt in Perspektivlosigkeit und Langeweile. Ein Szenario, in dem Sleaford Mods je nach Blickwinkel die letzte Festung der Aufrechten sind – oder die Zombies, die mal jemand von der Straße kehren müsste.
Diese Lesart ist verlockend, aber sie lädt womöglich zu viel Bedeutung auf die schmalen Schultern von Divide And Exit. Sleaford Mods sind kein Blitzableiter für die Stimmung in Großbritannien. Sie bringen nicht das kollektive Unwohlsein eines kaputten Landes zum Ausdruck, sie reiben dem Land lediglich ihre schlechte Laune unter die Nase. Es ist schwer vorstellbar, wie daran jemand anknüpfen soll, wie hinter Sleaford Mods eine Bewegung der Aufgebrachten entstehen könnte. Wenn sich jemand mit dieser Band identifiziert, sagt das nichts über die Allgemeingültigkeit ihrer Beobachtungen. Es sagt nur etwas über die Person, die sich in Sleaford Mods wiederzuerkennen glaubt.
Ist die Lage also hoffnungslos? Zumindest Kate Tempest würde widersprechen, eine junge Rapperin aus London, die mit ihrem Debütalbum Everybody Down soeben den Alltag junger Engländer auf den Punkt gebracht hat wie niemand mehr seit den Frühwerken von Dizzee Rascal und The Streets. In ihren kämpferischen, mitfühlenden Schilderungen reflektiert sie tatsächlich das Lebensgefühl einer angeschlagenen Generation. Sleaford Mods wäre schon das Wort „Lebensgefühl“ zuwider. Ihre Krawallmusik funktioniert für den Moment hervorragend, weil sie versteht, dass man sich so schlecht nur einmal benehmen kann. Man sollte den Taumel also einfach mit ihnen genießen. Bis die Bullen auftauchen und ihm ein Ende bereiten.
„Divide And Exit“ ist erschienen bei Harbinger Sound/Cargo Records.