Was kommt nach The Verve, Arcade Fire und Maxïmo Park? Hier sind Revere, die mit ihrem freundlichen Pathosrock noch eine Schippe Britishness drauflegen.
Dicke Bretter, so viel lässt sich auch als architektonischer Laie feststellen, halten meist besser als dünne. Wer am Material spart, könnte sein blaues Wunder erleben, wenn der erste Herbststurm an den Wänden zerrt und von oben das Dach bewässert. Strukturell minimalistische Bands von Antony and the Johnsons bis The xx scheinen zwar das Gegenteil nahezulegen; betrachtet man Popmusik allerdings als handgemachtes Tongebäude, das Wind und Wetter widerstehen sollte, um von Dauer zu sein, ist ein solides Fundament jeder Leichtbauweise gegenüber im Vorteil.
Revere machen Pop, sehr britischen Pop, aber global wirksamen. Sie machen ihn von Hand, und dabei bohrt das Londoner Septett aus diversen Ecken Englands alles Mögliche, aber gewiss keine dünnen Bretter. Was die Schwerbauweise ausmacht, hat der Gitarrist, Gründer und Sänger Stephen Ellis mal als „Britishness im Sound“ bezeichnet. Und zeichnet sich vor allem durch etwas aus, das jenseits des Vereinigten Königreichs oft aufgesetzt und selbstreferenziell klingt: Pathos – das denkbar dickste Brett des Pop mit der denkbar größten Gefährdung, dünn zu klingen.
Nicht so in den Songs von Revere.
Mit Geigen, Klavier und Rockbombast, mit modernem Synthesizergefrickel, zeitlosen Gitarrenriffs und zuweilen fast bänkelsängerischer Stimme kratzen die sieben Musiker (von denen beide Frauen im Team klischeehaft zart die Bögen schwingen) somit permanent an der Schwelle zum Überfrachteten. Doch die überschreiten sie fast nie. Das macht My Mirror/Your Target zu einem ziemlich furiosen Debüt – lässt man mal das eigenproduzierte Hey! Selim! vor vier Jahren außer Acht, das diesseits des Kanals wohl die wenigsten je gehört haben.
Das zweite erste Album also (in dem ohnehin mehrere Remixe früherer Stücke stecken) sollten alle hören, die es mit Maxïmo Park und Arcade Fire halten, mit The Verve, Suede, gar Joy Division. Alle, die einen melodramatischen Ausdruck schätzen, der jedoch gern aufbricht in die Welt da draußen. Für diese kleinen Fluchten bietet My Mirror/Your Target einen ganzen Kosmos elaborierter Gefühlswelten. Zwischen das hymnische Keep This Channel Open mit der fröhlichen Gitarrenbegrüßung und das radiotaugliche These Halcyon Days mit fast aufdringlich lebensbejahendem Refrain packt das Kollektiv einen ganzen Block teils grüblerischer Balladen voller Streicherdramatik und Liebesschwüren.
Doch siehe da: Es passt alles zusammen. Weil die angesprochene Britishness eben kein bloßes Zitat ist, sondern aus kollektiver Spielfreude erwächst. Weil das dicke Brett keiner Effekthascherei dient, sondern der Fülle des Arrangements. Das ist zwar nicht ganz neu; besonders die Editors klingen oft durch. Dennoch ist My Mirror/Your Target mehr als eine Kopie. Es ist die Feier des „Darf’s ein bisschen mehr sein“ an der Schwelle zum „Danke, passt so“.
„My Mirror/Your Target“ von Revere ist erschienen bei V2 Benelux.