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Weltraumsehnsuchtsklänge

 

Der Gitarrist Bill Frisell widmet sein neues Album dem „Space Age“, als die Menschheit ihre Zukunft im All suchte. Höchst aktuell angesichts der drohenden Spaltung der Welt.

© Monica Frisell
© Monica Frisell

Dies ist eine Musik für die älteren Jahrgänge, die sich noch daran erinnern, wie es sich anfühlte im Oktober 1957, als der Donner über dem Kosmodrom von Baikonur den Westen erbeben ließ und ein Spuk namens Sputnik in den Himmel stürmte.

Der Mensch war noch nicht im All, da war der Weg dorthin schon zum Wettlauf der Systeme geworden. Welcher Block würde die unendlichen Weiten als Erster erreichen? Das ersehnte space age wies keinen Fluchtweg aus dem Kalten Krieg, es verlängerte ihn bloß in die Vertikale, als space race.

Was abfiel von den startenden Raketen, landete in den Küchen. Oder in der Popmusik. Telstar hieß der erste Fernsehsatellit, den die Nasa und der Telefonkonzern AT&T am 10. Juli 1962 in den Orbit schossen. Telstar hieß auch das Stück, das der britische Produzent Joe Meek noch am selben Abend schrieb. Fünf Tage später holte er die Tornados ins Studio, um es aufzunehmen. Ein umgebauter Heizlüfter diente als Echomaschine, und Meek tat, was er konnte, um das Lied ohne Worte futuristisch klingen zu lassen.

Telstar schoss in den Charts nach oben und wollte gar nicht wieder herunterkommen. Bis heute zieht es durch das akustische Gedächtnis, ein Hit auf ewiger Umlaufbahn, das meistverkaufte Instrumentalstück der Musikgeschichte.

Auf Bill Frisells vierzehnteiligem Potpourri über das Zeitalter der Weltraumfahrt bildet es den fanfarenhaften Schluss. Von Turn, Turn, Turn bis zu Tired Of Waiting For You erinnert der amerikanische Gitarrist, geboren 1951, an die Schizophrenie jener Jahre.

„Alles schien möglich“, sagt er über die Wahrnehmung seiner Kindheit und Jugend. „Die Zukunft versprach großartig zu werden. Doch zur selben Zeit gab es dieses Gefühl drohender Gefahr. Der Zivilschutz, der Kampf um die Bürgerrechte, Vietnam.“ Die Freiheit brach sich Bahn, die Dunkelheit war da. Beides habe ihn geprägt, sagt Frisell.

So wie die Welt zwiegespalten war, war es auch der kleine Bill. Als Jazzmusiker von 63 Jahren lässt er mit seinem Quartett in der Zukunftsgewissheit der alten Popstücke die Unheilserwartung immer mitschwingen.

Space age und space race sind längst Vergangenheit. Die Spaltung der Welt kehrt gerade zurück. Insofern empfiehlt sich diese bös unterhaltsame Platte leider auch manch Jüngerem.

„Guitar in the Space Age“ von Bill Frisell ist erschienen bei Okeh Records.

Aus der ZEIT Nr. 49/2014