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R’n’B nach Ferguson

 

Nach 15 Jahren veröffentlicht D’Angelo, einstmals Gott des Neo Soul, sein neues Album: „Black Messiah“ geht es nicht mehr um Sex, sondern um die gesellschaftliche Kraft schwarzer Musik.

© Sony
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Bester Witz der jüngeren Musikgeschichte: Das erste Stück auf D’Angelos neuem Album Black Messiah heißt Ain’t That Easy. Gitarre, Bass und Schlagzeug verknoten sich darin in einem unausweichlichen Groove. D’Angelo führt mehrere Versionen seiner Stimme durch die erste Strophe, es geht darum, wie er eine Frau anmacht oder sich von seinen eigenen Ideen berauschen lässt, vielleicht auch um beides. Zum Refrain jedenfalls kommt alles ganz mühelos zusammen, und tatsächlich will man fragen: Was war noch mal das Problem?

Das Problem war, dass gar nichts easy ist. D’Angelo heißt eigentlich Michael Eugene Archer, und Michael Eugene Archer ist ein sensibler Mensch, der sich nur selten wohlgefühlt hat in der eigenen Haut. Er gehört zu den Wegbereitern des sogenannten Neo-Soul, dessen Vertreter ab Mitte der neunziger Jahre die durchdachte, handgemachte Musik von Künstlern wie Prince und Marvin Gaye den Rap-Einflüssen öffneten. Dank des ikonischen Videos zur im Jahr 2000 erschienenen Single Untitled wurde D’Angelo jedoch nie so berühmt wie sein Bauchnabel.

Das Album zum Video heißt Voodoo und leistete für Neo-Soul, was Pet Sounds für den amerikanischen Popsong leistete: die Fixierung von Wortschatz und Grammatik und die anschließende Erforschung all ihrer Möglichkeiten. Über Jahre hatten sich D’Angelo und seine Kollaborateure in perfektionistischer Detailkrittelarbeit vergraben. Als Voodoo endlich erschien, entwickelte sich ein Starkult um den Sänger, der ihn zusehends irritierte und schließlich verstummen ließ. Aufnahmesessions fanden nur noch unregelmäßig und unfokussiert statt. D’Angelo trank zu viel. Er zerstörte beinahe jede wichtige Beziehung in seinem Leben.

Obwohl er seit 2009 wieder sporadisch Konzerte spielt und D’Angelos bemerkenswert geschwätziger Manager regelmäßig von der unmittelbar bevorstehenden Fertigstellung eines neuen Albums sprach, erscheint Black Messiah nun aus dem Nichts. Es ist ein traditionelleres Album als Voodoo, mehr R’n’B als Future-Funk, analog aufgenommen, angeblich aus 200 Tonbandspulen herausdestilliert. Das Zusammenspiel von D’Angelos hoch dekorierter Band ist gewohnt detailverliebt, der Sound wärmer als je zuvor. Das Bett wäre also bereitet. Der Künstler aber hat anderes im Sinn.

Das Coverfoto von Black Messiah zeigt erhobene Hände, geballte Fäuste, keine Gesichter. Es könnte bei jeder Demonstration gegen Polizeigewalt entstanden sein, die in den vergangenen Monaten in den USA stattgefunden hat. Tatsächlich stammt es von einem D’Angelo-Konzert aus dem letzten Jahr. Der Tonfall des Sängers lässt keinen Zweifel am beabsichtigten Effekt: Es geht um das Erbe von Marvin Gaye, Stevie Wonder und Sly Stone, die Zusammengehörigkeit von schwarzer Musik und schwarzem Protest. Es geht außerdem um ihr Scheitern.

Ahmir Thompson, Schlagzeuger von The Roots und Kollaborateur von D’Angelo, hat unter afroamerikanischen Ausnahmekünstlern einst einen Hang zu Schockstarre und Selbstsabotage diagnostiziert. Jean-Michel Basquiat starb mit 27, Lauryn Hill und Dave Chappelle fristen seit Jahren ein ebenso frustriertes wie frustrierendes Dasein in verfrühter Altersteilzeit. D’Angelo streicht sich mit Black Messiah nicht bloß selbst von dieser Liste des vergeudeten Talents. Er denkt auch über ihre Existenz nach.

Während sich die Musiker auf Partytemperatur hochschaukeln, enthüllt The Charade einen ernüchterten Blickwinkel auf Civil-Rights-Märsche, Obamas Präsidentschaft und jede Art des Aufbegehrens. Immer wieder in den vergangenen 15 Jahren fragten sich Weggefährten, Journalisten und Fans, was D’Angelos Problem sei. Nun fragt der Künstler zurück, worin der Sinn seiner Anstrengungen bestehen soll, wenn am Ende doch wieder ein Afroamerikaner mit Kreidestrichen ummalt wird.

Darin steckt natürlich ein Widerspruch, der mehr zur Faszination von Black Messiah beiträgt als die edle Ausrüstung, auf der es eingespielt wurde. D’Angelo musste das Album erst machen, um seine Strahlkraft anzweifeln zu können. Er hat Musik geschrieben, die 15 Jahre schlechten Sex mit den ersten 15 Sekunden von Ain’t That Easy wegwischt – und dann auch noch den Nerv, sich zu fragen, ob all das möglicherweise unnütz ist. Der beste Witz der jüngeren Musikgeschichte entpuppt sich damit als ziemlich bitter.

Dabei geht D’Angelo selten so explizit vor wie in The Charade. An anderer Stelle verlässt er sich auf ausgelutschte Protestsongfragen, als wollte er damit ihre Bedeutungslosigkeit vorführen. So inszeniert er Black Messiah als triumphale Rückkehr der Ratlosigkeit, ein Schulterzucken, das manche Menschen spüren werden wie ein Erdbeben. Doch auch diesen Spieß kann man noch einmal umdrehen. Schon Marvin Gaye hat schließlich gezeigt, was aus einer banalen Frage werden kann, wenn man das Fragezeichen weglässt.

„Black Messiah“ von D’Angelo And The Vanguard ist erschienen bei RCA/Sony.