James Brown, Isaac Hayes, Muhammad Ali – wer war der erste Rapper? Eine neue Kompilation versammelt frühe Wortakrobaten und findet die Wurzeln des Hip-Hop ganz woanders.
In der Hip-Hop-Geschichtsschreibung geht es oft zu wie beim Würstchenwettessen auf dem Kindergeburtstag. Es gibt viele Rapper, und jeder will der Erste gewesen sein. Die einen schwören auf die Sugarhill Gang, Hip-Hops erste Casting-Band. Andere wiederum wollen King Tim III zum ersten Rapper krönen, da putschen schon die Fans von Grandmaster Melle Mel am Nebentisch. Ihr spinnt wohl! Leute, Busy Bee Starski. Word! Und was ist mit den gebrummelten Liebesschwüren von Isaac Hayes und James Browns heiserem Bellen? Den anzüglichen Bettgeschichten von Millie Jackson? Gil Scott-Herons geschmeidiger Spoken-Word-Soul? Alles Rapper oder was?
Dass Rhythmus und Reime schon immer zusammengehörten, zeigt nun die höchst unterhaltsame Kompilation Early Rappers – Hipper Than Hop – The Ancestors Of Rap, die beim Münchner Label Trikont erschienen ist. Der Journalist und DJ Jonathan Fischer hat sie mit viel Sorgfalt zusammengestellt. Early Rappers stellt die Urahnen des Rap vor und spürt der traditionellen Verbindung zwischen Wortspiel und Beat in der afro-amerikanischen Musik nach.
Ein Blick auf die Trackliste der CD sorgt gleich für eine Überraschung: Wichtige Schlüsselfiguren des Rap wie James Brown, Gil Scott-Heron, Millie Jackson oder Isaac Hayes – sie alle fehlen. Stattdessen gibt es Musik von King Stitt, Dr. Horse oder The Cadets – Namen, die man nicht sofort mit Rap in Verbindung bringt.
Das macht die Auswahl so besonders. Fischer verzichtet auf Stücke, die ohnehin auf unzähligen Kompilationen vorliegen. Umso mehr Überraschungen gibt es zu entdecken. Denn sein Ansatz geht tiefer: Von welchem Sound ließen sich Helden wie Brown, Hayes und Scott-Heron anstecken? War es der federnde Jive Scat Cab Calloways? Die wütende Spoken Poetry der Last Poets oder etwa der krawallige Comedy-Funk des Komikers Pigmeat Markham? Womöglich. Könnte sein. Vielleicht aber auch nicht. Early Rappers beansprucht nicht, diese Frage ein für allemal zu klären. Denn wie reimte einst der legendäre Eddie Cheba: „You don’t care if I’m the one – ‚cause all you wanna do is have some fun.„
Dass auf Early Rappers viel gequasselt wird, versteht sich von selbst. Nicht immer erhellend, aber immer unterhaltsam. Ob in den Clubs und Musikhallen der vierziger Jahre oder auf den Blockparties der Achtziger: Rap ist vulgär, witzig, surreal, genial, schnell, gemein, überdreht. Aber vor allem: grenzenlos. Alles, was auf einen Beat passt, wird im Sprechgesang verwurstet. Bluesverse, der Slang der schwarzen Radio-DJs und der Gesang der Prediger, Komikergeplapper, Gefängnis- und Soldatenreime, das Gespräch an der Straßenecke, Muhammad Alis Abzählreime – sie alle stehen Pate für das, was sich später im Hip-Hop als ganzheitliche Kunstform verdichten soll. Early Rappers enthält also keine Stücke, auf denen einfach nur zufällig viel geredet wird. Allen Liedern ist die enge Verbindung zu diesen afro-amerikanischen Traditionen anzuhören.
Wo die Enkel später nur noch two turntables and a microphone brauchten, hatten ihre Großeltern noch ganze Bands und Orchester im Rücken. Deftiger R’n’B, Blues, Funk und Dub – es kracht und raucht ganz ordentlich auf Early Rappers. Im Rampenlicht aber stehen die Interpreten. Gegen den zweideutigen Witz eines John Kasandra oder den abgedrehten Nonsense des Rockabilly-Sängers Macy Skipper („Grandma’s A Total Stranger, Since She Got Her Nose Caught In A Record Changer„) wirken viele heutige Rap-Stars wie stoffelige Gebrauchtwagenhändler. Für sich selbst spricht die lyrische Coolness von Chuck Berry, Lightin‘ Slim und Bo Diddley, aber auch kuriose Randerscheinungen wie Andre Williams (Pass the Biscuits Please) oder die wortgewaltige Blanche Thomas (You Ain’t Such A Much) hätten in einem funky Wortgefecht gute Karten.
Rap, das war schon immer beides: Abfeiern und Aufklärung, Party und Politik. So ist die zornige Free-Jazz-Poesie der berühmten Last Poets aus Harlem auf Early Rappers gleich zweimal vertreten. Ihr Stil sollte später Rapper wie Chuck D, Q-Tip, Common oder Mos Def entscheidend beeinflussen. Ein paar Congas und viel Wut im Bauch – oftmals reichten wenige Mittel, um den Funken überspringen zu lassen. In den Poetry Cafés und Kellerbühnen New Yorks entzündete sich so die frühe Form des radikalen Rap. Der Siegeszug von Hip-Hop war nicht mehr aufzuhalten. Vom Ghetto aus konnte man die Flammen nämlich besonders gut sehen.
„Early Rappers – Hipper than Hop – The Ancestors Of Rap“ ist bei Trikont erschienen.