„Ich hasse HipHop. Außer A Tribe Called Quest.“
Freunde des HipHop haben diesen Satz oft gehört und sich geärgert. Gab es doch immer guten Rap, nicht nur von dieser Gruppe. Dennoch ist klar: Von ATCQ ging eine Magie aus. Etwas, dass das englische Wörtchen vibe so schön beschreibt. Die Stimmung, Atmosphäre oder Aura ihrer ersten drei Alben. Sie waren herausragend — auf der Oberfläche verschieden, im Kern wie eins. ATCQ schlugen Brücken, machten schwer Vermittelbares zu Konsens. Sie brachen mit dem harten Ghetto-Rap, in ihren Texten ging es friedlich zu.
Das hört man schon am Namen des Bandleaders Q-Tip: Watte statt Waffe. Sie zerschnitten Jazz, Disco, Soul und legten Neues darüber. Das Ergebnis ging sanft in die Ohren und Hüften. Für’s Gehirn gab es geistreiche Texte – der Testosteron-Haushalt des Hörers blieb auf Normalwert. Ihre Leichtigkeit fand Millionen Hörer. 1998 lösten sie sich auf. Ihre Musik war noch gut, doch der vibe verloren gegangen. Er lässt sich nicht nachbauen – er ist da, oder eben nicht.
Zeit für ein Solo. Ein Jahr nach der Trennung veröffentlichte Q-Tip sein Einzeldebüt Amplified und machte etwas anderes. Düster geriet, was er und der Produzent J Dilla schufen – scharfkantige Beats, Höhen und Bässe, keine Mitte. Kein vibe-of-the-tribe, sondern ein Album von Künstlern, die sich nicht reproduzieren mögen. Mit solchen kennt die Musikindustrie keine Gnade. Nachfolger von Amplified wurden angekündigt aber nie veröffentlicht. Q-Tips Plattenbosse sahen in ihm kein Potenzial. Aus dem Brückenbauer wurde ein Risikofaktor. Bootlegs hielten die treuesten Fans auf dem Laufenden. Bald zehn Jahre ist es her, dass ein Lebenszeichen des Wattestäbchens erklungen ist.
Nun endlich. Und gleich der Titel lässt verlauten, worum es geht: Q-Tip beschwört The Renaissance. Denn HipHopper denken in Epochen: Old School, New School, Next School. Dabei ist diese Musikrichtung gerade erst den Zwanzigern entwachsen! Die Wiedergeburt altertümlicher Kultur in ihrem Einfluss auf die Moderne – das käme ihm zupass, dem Rapper der alten Schule. Nur klingen diese Worte nach Dinosaurierpark, hören wir lieber die Musik.
Sie ist frisch, sie swingt, und sie erinnert an den HipHop der frühen Neunziger. Seien wir ehrlich, sie klingt nach A Tribe Called Quest. Bei Won’t Trade spielt uns ein Piano schwindelig, der Rhythmus macht süchtig. Einmal wirft der Jazzgitarrist Kurt Rosenwinkle entfremdete Tupfer dahin, die den Rhythmus frei interpretieren und verschieben. We Fight/We Love ist so ein Stück, das zeigt: Im Zusammenspiel aus Gegenläufigem entsteht Vielschichtigkeit. Und die Aura des Zurückgelehnten verleiht Eleganz.
Der Gastsänger Raphael Saadiq setzt glasklare Töne gegen Q-Tips Näseln. Der darf sich nie die Polypen entfernen lassen, sonst verliert seine Stimme das Besondere. Norah Jones steht bisweilen knietief im Milchschaum. Im Stück Life Is Better singt sie über einen harten Funkbeat und zieht einen Fuß heraus. Q-Tip positioniert seine prominenten Gäste gezielt. Jürgen Klinsmann würde das eine Win-Win-Situation nennen.
Die Renaissance ist also keine verkrampfte Zusammenkunft der alten Garde. Sie lebt von ihren Stärken, klingt dicht und dabei leicht. Wen stört, dass sie aus der Zeit gefallen ist? Nennen wir es gelungenen Konservatismus.
„The Renaissance“ von Q-Tip ist als CD, Doppel-LP und Download bei Motown Universal erschienen
…
Weitere Beiträge aus der Kategorie HIPHOP
The Streets: „Everything Is Borrowed“ (Warner Music 2008)
Everlast: „Love, War And The Ghost Of Whitey Ford“ (PIAS/Rough Trade 2008)
Roots Manuva: „Slime & Reason“ (Big Dada/Rough Trade 2008)
Stereo MCs: „Double Bubble“ (PIAS/Rough Trade 2008)
Guilty Simpson: „Ode To The Ghetto“ (Stones Throw/Groove Attack 2008)
Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter www.zeit.de/musik