Die swingenden Puppini Sisters aus London können sich nicht sattsehen im Rückspiegel. Sie sind der beste Beweis für Simon Reynolds‘ These der grassierenden Retromanie im Pop.
Die gute alte Zeit. Da waren die Züge noch pünktlich und die Renten sicher. Ja, früher war alles besser. Da hatte es noch seine Ordnung und die Jugend noch Respekt vor dem Alter. Das Benzin war bezahlbar und, das ist dann doch neu, die Popmusik versuchte zumindest den Anschein zu erwecken, sie habe etwas zur Moderne beizutragen. Blickt man aber auf die aktuellen Erzeugnisse der Musikwirtschaft, möchte man in den Oma-Chor einfallen, denn dort herrscht vor allem eins: Nostalgie.
Aber niemand ist so nostalgisch wie die Puppini Sisters. Drei Frauen aus London, die in Roben stecken, für die die Showtreppe erfunden wurde, und die am liebsten gut abgehangene Songs aus alten Hollywood-Filmen noch einmal singen. Ihre großen Vorbilder sind die Andrew Sisters, und auf ihrem neuen Album Hollywood finden sich nur Lieder, die mindestens ein halbes Jahrhundert alt sind. Einzige Ausnahme ist das frisch komponierte Titelstück und Parle plus bas von Nino Rota, das immerhin aus den siebziger Jahren stammt. Ansonsten aber längst ausgelutschte, tausendfach gesungene Klassiker wie Moon River oder I Feel Pretty aus der West Side Story, Cole Porters True Love oder der Gershwin-Gassenhauer I Got Rhythm.
Die italienische Vorsängerin Marcella Puppini und ihre beiden englischen Mitstreiterinnen Stephanie O’Brien und Kate Mullins bleiben bei diesem romantischen Blick in den Rückspiegel beileibe nicht allein. Die Konzerte der ähnlich retrospektiv gesinnten Kitty, Daisy & Lewis werden von den urbanen Hipstern gestürmt, Lana Del Rey hat es mit einer Handvoll netter Songs und einem Produktdesign als trashige Filmdiva zur Internet-Sensation gebracht. Diese Erfolge sind nur die aktuell sichtbarsten Symptome einer Entwicklung, die Simon Reynolds in seinem viel diskutierten Buch Retromania beklagt.
Reynolds befürchtet, dass sich die Kraft des Pop nun endgültig in immer wiederkehrenden Revivals erschöpft hat. Bis es aber soweit ist, werden in einer der letzten Retrowellen nun auch die bereits seit 2004 existierenden Puppini Sisters ganz nach oben gespült. Das ist der letzte Beweis, dass man die Befürchtungen von Reynolds teilen muss: Denn im Gegensatz zu Kitty, Daisy & Lewis oder Lana Del Rey versuchen sie noch nicht einmal, den alten Songs und damit dem Blick zurück eine wenigstens halbwegs zeitgemäße Dimension abzuringen. Stattdessen inszenieren sie die Klassiker ohne jeden Bruch als reine Reminiszenz an große, vergangene Zeiten.
Nein, die drei Puppinis seufzen so stilecht im Chor, dass sich ihr Publikum vor gar nicht mal so langer Zeit exakt aufteilte zwischen der schwulen Community auf der einen und den Müttern im mittleren Alter mit einer Schwäche für Musicalmelodien auf der anderen Seite. Dazwischen sitzen nun mittlerweile auch moderne Menschen, die auf der Suche sind nach solidem Handwerk und den guten alten Werten. Eigentlich gehören die Puppini Sisters in den Manufactum-Katalog.
Nur einmal, ein einziges Mal auf Hollywood rutschen sie aus ihren Roben und verlassen ihre Rolle. Das bereits mehr als achtzig Jahre alte Get Happy, das einst Judy Garland berühmt machte, leistet sich doch tatsächlich ein Amok laufendes Banjo. Auch dieser Version hört man nicht eben an, dass das 21. Jahrhundert bereits begonnen hat, aber mit ihrer leicht anarchischen Ruppigkeit sorgt sie immerhin dafür, dass die Puppini Sisters nicht mehr nur wehmütig und verklärend in die Vergangenheit blicken können. Es ist der einzige Moment, in dem die Oma ins Stottern gerät. Früher waren eben doch nicht unbedingt alle Dinge besser, aber, stimmt schon, immerhin die Renten sicher.
„Hollywood“ von The Puppini Sisters ist erschienen auf Verve/Universal.