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Aus dem Zellkern der Elektronik

 

Musik als Prozess, nicht als Produkt: Der Produzent Markus Popp alias Oval legt die „DNA“ seines neuen Albums offen. Seine Klänge gibt er als Open-Source-Dateien weiter.

© Trevor Good

Ja, klar, Rhythmus muss sein. Manchmal zumindest. Wenn’s sich halt gar nicht mehr vermeiden lässt. Nein, mit dem Bumm-Paff seiner Kollegen hat es Markus Popp nicht so. Dem Wahlberliner, der vor allem unter der Projektbezeichnung Oval veröffentlicht, ist seine Musik eher Akustikdesign. Was sich auf DNA sehr schön nachvollziehen lässt, denn das eben erschienene Album ist eine Art Werkschau, eine sehr überschaubare.

Denn ein – wie bei Produzenten elektronischer Musik üblich – verzweigtes Schaffen wie das von Popp scheint auf einer einzelnen CD mit gut 68 Minuten Spielzeit kaum ausreichend darstellbar. Andererseits fördert die Beschränkung die Konzentration auf das Wesentliche: Schön nachzuhören ist nun, wie Oval in den nun bald zwei Jahrzehnten ihres Bestehens so ziemlich jede tradierte Vorstellung von elektronischer Musikerzeugung konterkariert haben.

Das fängt an beim Rhythmus. Der mag den Clubbesuchern wichtig sein und mithin auch dem 08/15-DJ, für Oval war er von Anfang an, auch als unter dem Namen noch ein Trio firmierte, eher ein vernachlässigbarer Nebenaspekt. Viel wichtiger war es, neue Klänge zu finden. Dazu sampelten Oval Sounds von CDs, die vorher mit Filzstiften bearbeitet wurden, um die digitale Tonerzeugung durcheinander zu bringen. Die so durch fehlerhaft arbeitendes Equipment entstandenen, neuen Sounds bearbeitete Popp bisweilen mit einer eigens und selbst geschriebenen Software, damit er erst gar nicht in Versuchung geriet, ähnliche Klänge zu verwenden wie andere Produzenten. Für dieses Konzept wurde sogar ein eigenes Subgenre in der elektronischen Musik geschaffen: Glitch.

Grundsätzlich aber agierte Popp wie ein bildender Künstler, der eine Assemblage zusammenstellte. Er fand Klangabfall, Hörmüll, akustische Artefakte und arrangierte sie zu etwas, was er dann lieber nicht Musik nennen wollte. „Das Beste an Musik ist, dass sie sowieso schon da ist“, hat Popp in Interviews in immer neuen Varianten erzählt, während er das böse M-Wort für seine Stücke zu vermeiden versuchte. Das änderte sich auch mit seinem bislang letzten regulären Album nicht grundsätzlich, obwohl er 2010 für O seine Prinzipien erstmals auf klassische Instrumente wie Gitarre, Bass und Schlagzeug anwandte.

Dass Oval der Versuch war, Meta-Musik herzustellen, hielt jemanden wie Björk nicht davon ab, einen der Tracks zu samplen. Popp wurde noch radikaler: Schon im Jahr 2000 stellte er mit Ovalprocess seine Software zur freien Verfügung, um nicht einfach ein Produkt an den Konsumenten zu verlaufen, sondern um „eine Unsicherheit zu beseitigen“, schreibt er heute, „die Unsicherheit darüber, wer kreiert: der Musiker, die Software – oder womöglich der Entwickler der Software?“

Ausschnitt aus der Gebrauchsanweisung zu "OvalDNA" (© Oval)

Um zu „zeigen, dass Musik zuerst Prozess ist, nicht Produkt“, verfährt Popp mit DNA genauso. Auf einer zweiten CD finden die Computer-Nerds die Software OvalDNA und auch noch einen Katalog von Klang-Dateien, die Popp verwendet hat. Beides können Möchtegernproduzenten ohne Einschränkungen verwenden, um wieder neue Musik herzustellen. Popp legt also einerseits die Grundlagen seiner Arbeit offen, um zu beweisen, dass noch hinter dem avanciertesten Klangbild kein Zauberwerk steckt. Zum anderen ist die Veröffentlichung natürlich ein Statement inmitten der Krise einer Musikindustrie, die immer noch verzweifelt gegen die problemlose Reproduzierbarkeit des Produkts Popmusik kämpft, anstatt Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Bleibt nur die Frage, ob das Open-Source-Prinzip, das Oval mit DNA propagiert, diese Zukunft sein kann.

„DNA“ von Oval ist erschienen bei Shitkatapult.