Mit ihrem neuen Album „Undun“ zeigen The Roots, dass sie in einer ganz anderen Liga spielen als die übrigen Hip-Hopper. Auch auf die Occupy-Bewegung nehmen sie Bezug.
Das Albumformat hat es schwer heutzutage. Leute, die ein musikalisches Werk komplett von Anfang bis Ende durchhören, scheinen einer aussterbenden Spezies anzugehören. Die amerikanische Hip-Hop-Band The Roots stemmt sich gegen diese Entwicklung – mit ihrem ersten Konzeptalbum.
Es handelt vom fiktiven Leben eines kriminell gewordenen Afroamerikaners namens Redford Stephens. Und beginnt mit dessen Tod. Orientierungslos blickt der Mittzwanziger aus dem Jenseits auf sein Leben zurück. Geisterhafte Stimmen, Babyweinen, Schreie. Psychedelische Synthieklänge und Tinnituspfeifen.
In den folgenden knapp vierzig Minuten rollen Black Thought und eine Handvoll Gast-Rapper Redfords tragisches Leben von hinten auf. Jeder Track behandelt einen entscheidenden Moment im Leben des einst vielversprechenden Mannes, der sehenden Auges in sein Unglück rennt. „Illegal activity controls / My black symphony / Orchestrated like it happened / Incidentally / Oh… there I go / From a man to a memory„, rappt Trotter in Sleep. Schicksal versus freier Wille.
The Roots, dieser achtköpfigen Kombo, die nächstes Jahr Silberhochzeit feiert, ist mit Undun ein großer Wurf gelungen. Benannt nach einem Song von Randy Bachman ist es vieles zugleich: sozialkritisch, poetisch, experimentell. Und es kommt in einem Sound daher, der keine Wünsche offen lässt. In Make My tropft der Beat wie heißes Quecksilber. „My heart so heavy that the ropes that hold my casket break / Cause everything that wasn’t for me I had to chase / I had to take„, erkennt Redford post mortem. Dann eine melancholische Hookline, die einem kalte Schauer über den Rücken schickt. Überhaupt sind die Refrains auf dem zehnten Studioalbum durchweg großartig. Nicht zuletzt dank der zwei tollen Sängerinnen im Hintergrund.
Die fast schon orchestrale Musik ähnelt mehr einem schwermütigen Soundtrack als einer klassischen Hip-Hop-Platte. Hier ein einsames Cello, dort ein Streichquartett. Alles gut verschnürt vom Mastermind ?uestlove, dem menschlichen Drumcomputer. Dazu mal eine Hendrix-Gitarre von Captain Kirk oder eine Keyboardmelodie, die an eine Spieluhr erinnert. Und mit Texten auf gewohnt hohem Niveau: Zeitkritisch reimt Phonte „Wall Street“ auf „y’all streets“ und fordert: „Find another one to occupy„.
Mit Undun präsentiert die Crew, die seit 2009 auch als Jimmy Fallons Showband tätig ist, ein vielschichtiges Werk, das dennoch klingt wie aus einem Guss. Egal, ob Greg Porn mit einer verzerrten Gitarre um die Wette brüllt oder Dice Raw in Lighthouse einen Gänsehaut-Refrain zum Besten gibt: Das Kollektiv aus Philadelphia spielt in einer ganz anderen Liga als der Rest der Hip-Hop-Welt.
Diese Tatsache untermauern auch die letzten vier Titel, die zusammen die Redford Suite bilden. Zu Chorgesängen spielt Sufjan Stevens auf dem Klavier wehmütige Akkordfolgen von seinem Album Michigan. Streicher leiten über in Free Jazz und ein Schlagzeug-Solo mit einem ?uestlove außer Rand und Band. Den Schlusspunkt setzt ein Klavierakkord, der noch lange nachhallt – wie das gesamte Album. Darum gilt: Finger weg von der Shuffle-Taste.
„Undun“ von The Roots ist erschienen bei Def Jam.
Nachtrag vom 20. Dezember
Hier ist der offizielle Kurzfilm zum Album: