Sex, Autos und Drogen: In den Siebzigern lockte Casablanca Records die größten Disco-Produzenten Europas nach Los Angeles. Neben den großen Partys entstand erinnernswerte Musik.
Kennen Sie Neil Bogart? Nein? Sie werden ihn kennenlernen. Spätestens wenn irgendwann doch noch einmal der Film über sein Leben in die Kinos kommt. Ein Projekt, das schon seit Jahrzehnten in den manchmal erstaunlich träge mahlenden Mühlen von Hollywood festhängt, unlängst aber Fahrt aufgenommen hat, als ein gewisser Justin Timberlake für die Hauptrolle verpflichtet werden konnte. Der Popstar und Gelegenheitsschauspieler ist sicherlich eine gute Wahl, um eine der schillerndsten Figuren darzustellen, die das Musikgeschäft jemals hervorgebracht hat.
Bogarts Leben, angefüllt mit Sex, Drogen und Discomusik, ist wie geschaffen für die große Leinwand. Geboren und aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen in New York als Neil Bogatz änderte er seinen Namen in den eines Filmstars und baute nicht nur eines der erfolgreichsten Plattenlabel der siebziger Jahre auf, sondern auch das sagenhafteste des Jahrzehnts. Mit Casablanca Records brachte Bogart die Karrieren von Kiss, Parliament, Donna Summer und der Village People in Schwung. Er holte die größten europäischen Disco-Produzenten nach Los Angeles, allen voran Giorgio Moroder.
Doch für Bogart war die Musik oft nur Mittel zum Zweck: Die Büros von Casablanca waren den Szenenbildern des gleichnamigen Films nachempfunden, jeder Mitarbeiter fuhr einen geleasten Mercedes, auf den Parties des Labels staubte der Schnee.
Bogart starb 1982 im Alter von nur 39 Jahren an Krebs, sein Label hatte er mit verantwortungslosem Geschäftsgebaren und großzügigem Geld-aus-dem-Fenster-Schmeißen ruiniert, aber ganz nebenbei hatte er eben auch die Popmusik umgekrempelt: Nicht nur versuchte er mit seinen legendär verschwenderischen Promotion-Kampagnen der Traumfabrik Hollywood Konkurrenz zu machen, mit Kiss beförderte er das Merchandising zum substanziellen Umsatzanteil. Vor allem aber war er der erste Musikmanager weltweit, der nachwies, dass man ein Popprodukt unabhängig von der Qualität und allein durch Werbeanstrengungen zum Erfolg führen kann. Bogart war, von heute aus betrachtet, nicht nur ein glamouröser Pleitegeier, sondern auch der erste moderne Impresario des Pop.
Ganz nebenbei entstanden auch einige großartige Musikmomente. Ironischerweise vor allem im Segment Disco, das Bogart musikalisch erst zu interessieren begann, als er dessen kommerzielles Potenzial erkannt hatte. Dass nun ausgerechnet die Gomma All Stars solche Momente mit ihrem The Casablanca Reworks Project aufspüren, ist nur logisch: Gelten Jonas Imbery, Mathias Modica und ihr Münchner Label Gomma doch als Erben jener Männer, die aus derselben Stadt einst die Heilslehre der Disco in die weite Welt hinaustrugen, bis sie auch Neil Bogart in Los Angeles erreichte.
Gomma All Stars feat. Peaches present: Casablanca Reworks by Gomma
Munk, The Phenomenal Handclap Band, Moullinex und Telonius haben jeweils einen Klassiker aus dem Casablanca-Katalog neu eingespielt. Es sind knackige, zeitgemäße Versionen geworden, die zwar geradeaus wummern und erfolgreich die Patina der Originale abgekratzt, aber dadurch auch einen Teil ihres Charmes eingebüßt haben.
Als Sängerin für alle vier Stücke, die jeweils in zwei verschiedenen Mixes auf der EP vertreten sind, konnte Peaches gewonnen werden. Die skandalfreudige Kanado-Berlinerin kann es in Our Love zwar nicht mit der sexgeladenen Stimme Donna Summers aufnehmen, steckt aber dafür anlässlich von Maniac den guten alten Michael Sembello glatt in die Tasche.
Alle Tracks wurden aufgenommen mit Hilfe der Musikproduktionsplattform Audiotool, die eine Online-Zusammenarbeit möglich macht und demnächst, glaubt man den Gomma-Verantwortlichen, die Herstellung von Pop revolutionieren wird. So finden also auch noch Vergangenheit und Zukunft zueinander. Neil Bogart hätte das gut gefallen.
„The Casablanca Reworks Project“ von Gomma All Stars feat. Peaches ist erschienen bei Gomma.