Die Londoner Rapperin Speech Debelle steht im Rampenlicht. Nicht um mit dem Hintern zu wackeln, sondern um emanzipierte Gesellschaftskritik zu äußern. Das ist selten im Hip-Hop.
Zeit für Wut ist ja immer. Die Preise steigen, die Profite auch. Krisengewinnler feiern, als sei nichts gewesen. Und während die Übrigen deren Inkompetenz und Gier ausbaden, fragt sich: Bleibt der Aufstand der Anständigen schon wieder aus? Abgesehen von etwas Panic in the Streets of London im vorigen Sommer ist es ja ruhig auf den Straßen jenseits von Athen. Kein Wunder, dass kein Sound der Revolte hindurchrauscht.
Umso wachsamer sollte man sein, wenn sich Musik jenseits vom Punkrock und Protestsong mal der Verhältnisse annimmt. Umso mehr, wenn dies auch noch im Hip-Hop erfolgt, der sein Empörungspotenzial seit langem zwischen Gangsta Rap und Bling Bling versteckt. Man sollte also dankbar sein für Speech Debelle, diese wütende, junge, jamaikanischstämmige Londonerin, die vor drei Jahren den Mercury Prize gewann, so sehr hatte sie die Jury mit der kontrollierten Aggression ihres Debüts beeindruckt. Mit fast 30 legt Corynne Elliott nun den Nachfolger vor. Und er ist nicht saturierter. Nicht ruhiger. Nicht leiser. Nur besser.
Speech Debelle – Studio Backpack Rap
Auch auf Freedom Of Speech wird das Rad musikalischer Widerborstigkeit nicht neu erfunden. Und ein Album so zu betiteln ist weder als Statement noch Wortspiel allzu dissident. Aber muss man denn wirklich immer den ganz großen Maßstab anlegen? Muss Musik, die sich einem Dagegen verschreibt, die Keule des Umsturzes schwingen? Muss man Speech Debelle also vorwerfen, wie der rührigste Gesellschaftskritikerkritisierer Jens-Christian Rabe in der Süddeutschen, „Fahrstuhlmusik für Teilzeit-Revolutionäre“ zu machen?
Muss man nicht. Es sei denn, man nimmt ihr übel, dass sie gelegentlich übers Innerste singt (Shawshank), dass ihr Zorn übers große Ganze (Collapse) von Sentimentalitäten (Angel Wings) untergraben wird, dass es unter zwölf Songs einen mit Chartappeal gibt (I’m With It). Selbst das aber ist akzeptabel, wenn man Speech Debelle einzuordnen versteht.
Die kraftvolle Selbstbehauptungslyrik fürs eigene, weibliche Anliegen, die Neneh Cherry den Achtzigern, Queen Latifah den Neunzigern und Missy Elliott den nuller Jahren gab, transponieren Epigonen wie M.I.A. in eine Gegenwart, die das alte Emanzipationsdefizit hinter sich gelassen hat. Einerseits.
Andererseits kämpfen diese Frauen noch immer gegen einen beharrlichen Sexismus, buchstäblich verkörpert von den Kolleginnen des wesensverwandten R’n’B: die leerstellenlose Vermarktung leiblicher Dauerverfügbarkeit als vermeintlichen Ausdruck sexueller Selbstbestimmung.
In solchen leidlich kreativen Softpornos des Pop bleibt Corynne Elliott angenehm körperlos. Nicht nur, weil sie sich dem Geist des Sex’n’Sex’n’Get’mo’money entzieht, sondern weil sie es nicht dauernd thematisieren muss. Ihr prägnanter Cockney-Slang zu analogen oder digitalen harten bis weichen Drums und Samples findet nun mal andere Einsatzgebiete.
Oder hat sich an den Spitzen von R’n’B bis Rap irgendwer meinungstark zum englischen Aufstand des Vorjahres geäußert? Sicherlich, die Solidaritätsadresse Blaze Up A Fire an alle Perspektivlosen mag vor den Riots produziert worden sein – es bleibt eine kraftvolle Selbstpositionierung, wie sie selten ist im Rampenlicht. Und da steht nun mal Speech Debelle. Und singt. Und wird gehört. Gut, dass sie was draus macht.
Blaze Up A Fire von Speech Debelle (ft. Roots Manuva and Realism)
„Freedom of Speech“ von Speech Debelle ist erschienen bei Big Dada.
Konzerte: 25. Februar Hamburg, 26. Februar Berlin, 27. Februar München