Das Kammerflimmer Kollektief ließ sein Album „Absencen“ von neun Remixern durch den Wolf drehen. Herausgekommen ist ein überraschend ideenreicher Mix aus Jazz und Elektronik
Mit Remixen ist das so eine Sache. Meist sollen sie in den Clubs neue Käuferschichten erschließen. Oder als Bonbon für Fans den Verkauf einer Single anregen. Die Ergebnisse sind meist allenfalls leidlich originell. Immer wieder aber gibt es Ausnahmen, Neubearbeitungen von Stücken, die diesen etwas neues abgewinnen. Die mehr sind, als die Abkürzung von der Hitparade in den Club.
Neun Remixer nahmen nun das Album Absencen des Kammerflimmer Kollektiefs auseinander und setzten es neu zusammen. Und hier gehen die Stücke einen weiten Weg. Absencen erschien 2005 und war eine vielgestaltige, schimmernde Mischung aus sphärischer Elektronik und hektisch improvisiertem Jazz. Ganz wunderbar, so poetisch und vibrierend. Eine lebendige Platte, die sich mit jedem Hören weiter öffnete, immer ein kleines bisschen mehr von sich preisgab, aber bis heute nicht gefällig wurde. „Ein stilles Implodieren und kreischendes Hauchen, ein nachhallender Aufschrei des Free Jazz belästigen den Wohnzimmerklang, ein Versuch, die Schönheit zum Leuchten zu bringen, in dem sie zart zerstört wird!“ schrieb Konrad Heidkamp in der ZEIT über Absencen.
Die vom Kammerflimmer Kollektief engagierten Remixer stammen allesamt aus dem Elektronikbereich. Dennoch versuchen die meisten gar nicht erst, die Auftraggeber in den Tanzclub auszuführen. Harmonium und Altsaxophon, Vibraphon und Klarinette treten zwar in den Hintergrund, sämtliche Remixer holen die Stücke weiter in die Elektronik. Doch die Überraschung gelingt: es schadet nicht, dass die ursprüngliche Ausgeglichenheit zwischen Akustik und Elektronik aus dem Gleichgewicht kommt und Grundierung und Figuren plötzlich trennbar erscheinen.
David Last macht aus dem im Original kaum anderthalb Minuten langen Matt eine düster schwebende Dub-Nummer. Das ruhige, optimistische Nach dem Regen wird bei Aoki Takamasa zu einem hektischen Geplatter, einem sommerlichen Wolkenbruch. Am stärksten ist die Platte dort, wo ganz auf einen durchgängigen, dominanten Rhythmus verzichtet wird. Unter Jan Jelineks Fingern wächst Unstet zu einem bebenden, drängenden Monstrum. Hans Appelqvist macht aus Shibboleth mit Hilfe einer akustischen Gitarre und einer lustigen Tröte eine originelle kleine Popnummer. Und bei Nachtwache von Lump200 treten plötzlich Instrumente und Klänge in den Vordergrund, die man im Original einfach überhört hat. Knarzige, kaputte Schlagzeugklänge und ein ganz simples Keyboard-Muster brechen die ursprüngliche Struktur vollkommen auf, lassen neue Verbindungen entstehen. Das Stück wabert um ein ganz neues Zentrum.
Zwei Remixer zerren ein bisschen zu ideenlos am Original. Secondos Version von Unstet ist stumpf geraten, von der ursprünglichen Spannung bleibt nicht viel erhalten. Sutekh mischt mehrere Stücke erst originell zusammen zu seinem Absencen, macht dann aber den Fehler, das ganze zu einer langweiligen Tanznummer aufzumotzen.
Gerade im Kontrast wird klar: Die Stücke brauchen keinen neuen Beat, sie wollen gar nicht eingefangen werden. Und in den Club wollen sie schon gar nicht.
„Remixed“ und „Absencen“ vom Kammerflimmer Kollektief sind erschienen bei Staubgold
Hören Sie hier „Nachtwache“ von Lump200 und zum Vergleich das Original „Nachtwache, 15. September“ vom Kammerflimmer Kollektief
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