Zusammen mit Gotye hatte sie einen Riesenhit. Nun bringt Kimbra ihr Solodebüt heraus: Sie muss sich zwischen spannendem Indiepop und Major-Geballer entscheiden.
Monatelang konnte man ihm nicht entkommen: Gotyes Somebody That I Used to Know war der Song des Winters. Mindestens so allgegenwärtig wie der Indiepophit war das zugehörige Video: Nackt steht der Sänger vor einer weißen Leinwand, Farbmuster wandern über seinen Körper, bis er wie ein Chamäleon mit dem Hintergrund verschmilzt. Später schwenkt die Kamera auf eine junge Frau mit Kleopatrafrisur, ebenfalls nackt.
Kimbra Johnson, so heißt die Neuseeländerin, singt Gotye mit ihrer kraftvollen, wandlungsfähigen Stimme an die Wand. Geübt hat sie schon lange: zuerst im Jazzchor ihrer Schule, dann allein zur Gitarre. Mit zwölf Jahren durfte sie die Nationalhymne beim Rugbyfinale singen. Mittlerweile ist sie 22 und hat ihr erstes Studioalbum veröffentlicht. Beachtung verdient es nicht allein aufgrund seiner unkonventionellen Mischung aus Pop, Soul und Jazz, sondern auch wegen seiner auffälligen Qualitätssprünge.
Die Voraussetzungen für ein tolles Album sind da: Kimbra ist eine hoch talentierte Singer-Songwriterin, die ihre Stimme wie ein Instrument führt. Sie legt ihren Gesang in Schleifen übereinander, scattet, flüstert, stößt schrille Schreie aus. Im eigenwilligen Settle Down rollt sie mit den Lauten Boom, boo-boom-ba einen rhythmischen Teppich aus, über den sie singt. Das Ergebnis ist originell und tanzbar, mit ihrer Stimme kann sie umgehen wie Björk oder Bobby McFerrin.
In anderen Songs vereint sie Bombast-Pop, Miami Bass, Streicher, Bläser und Klavierklänge. Wie ein Kind, das vor einem riesigen Malkasten sitzt, bringt Kimbra möglichst viele Farben zu Papier. Minimalistischere Stücke mit Akustikgitarre und Löffeln als Schlaginstrumenten wechseln sich ab mit Nummern, die nach Synthie-Pop oder Neunziger-R’n’B klingen. Dazwischen immer wieder rhythmische Verschiebungen und Jazzharmonien, unversehens taucht eine Trompete auf oder ein Gitarrensolo. Ihre Stimmgewalt und extravagante Herangehensweise erinnern an Janelle Monáe oder Florence Welch.
Weshalb sie sich ab der Hälfte des Albums zeitweise in die neuseeländische Britney Spears verwandelt, ist hingegen unerfindlich. Überproduziert, einfallslos: Eine gute Viertelstunde lang gibt es die volle Packung banalen Dance-Pops. Songs, wie sie sich Dieter Bohlen unter der Dusche ausdenkt und beim Abtrocknen wieder verwirft. Ein Blick ins Booklet verrät die Lösung: Nicht weniger als elf Komponisten haben an diesem Album mitgeschrieben. Die hervorragenden Stücke stammen von Kimbra und ihrem Produzenten François Tétaz, die Dorfdisko-Kracher unter anderem von Musikern, die auch für Kelly Clarkson und Kesha komponieren.
Dieses Album zeigt nicht nur die problematische Anlage eines Major-Debüts, sondern auch, wie wichtig Vertrauen in die eigenen Songs ist. Durch Kimbras Duett mit Gotye stieg eben nicht nur ihre Bekanntheit, sondern auch der kommerzielle Druck. Bleibt sie ihrem experimentierfreudigen Naturell treu, ist Kimbra zu wahren Glanzleistungen imstande. Schielt sie zu sehr auf den Mainstream-Erfolg, setzt sie ebenjene Eigenschaften aufs Spiel, die sie erst zu einer interessanten Musikerin machen. Ihr nächstes Album wird zeigen, für welchen Weg sie sich entschieden hat.
„Vows“ von Kimbra ist erschienen bei Warner.