Die Klugscheißer-Kritiker haben mal Pause, denn dieses Album ist viel zu trivial, um es zu analysieren. 1000 Gram machen wunderbar entspannten Songwriter-Pop.
Eigentlich soll die objektive Bewertung subjektiver Gebrauchsgüter wie Musik nicht vom redaktionellen Zustandekommen des Berichtsgegenstands künden, aber hier ist genau dies doch mal angeraten. Denn eigentlich war 1000 Gram, die Band des sonst solistisch aktiven Singer/Songwriters Moritz Lieberkühn, nicht für eine Rezension vorgesehen. Offenkundig glatt und gefällig, nicht schlecht, doch zu gewöhnlich für ein Blog, das sich bekanntermaßen ums Kreative im Überfluss des Pop bemüht. Dann aber kam Alicia Keys nicht in die Pötte und es bestand eiliger Bedarf.
Und siehe da – ein Wunder geschah mit 1000 Gram. Je öfter man nämlich die Platte des Berliners, der seiner schwedischen Frau nach Göteborg folgte, hört, desto schöner wird sie. Und wer denkt, Nachnominierungen hätten den faden Beigeschmack des Zweitklassigen, sollte sich kurz an Dänemark erinnern, das 1992 für die kriegsbedingt geächteten Serben nachträglich in die Fußball-EM rückte und den Pokal gewann.
Nun sind 1000 Gram gewiss nicht europäische Spitzenklasse. Aber manchmal kann es eben sehr entspannend sein, fast erleichternd, sich ohne den Ballast etwaiger Vorschusslorbeeren durch ein Album wie Ken Sent Me zu hören und überraschen zu lassen. Denn es wirkt.
Irgendwo zwischen Country, Folk und Americana, Liedermachergestus, Westcoastrock und Easy Listening gräbt sich das Debüt tiefer ins Gemüt und bleibt dort eine Weile, je öfter man auf Repeat drückt. Einfach, weil es zwischendurch Druck von den Schultern nimmt, Musik in sich hinein fließen zu lassen, die Metaphern wie „ruhiger Fluss“ oder „frische Sommerbrise“ provoziert, statt manierierte, feuilletonistische, intellektuelle Klugscheißervokabeln von vertrackt über eklektizistisch bis hermeneutisch, die sich auch der Autor dieser Kritik im Zusammenhang mit all der vertrackt eklektizistisch-hermeneutischen Diskurselektronica aus Nordnorwegen oder dem Berliner Westen so oft nicht verkneifen kann.
Ken Sent Me will so was nicht. Ken Sent Me will gefällig sein, nicht kompliziert, nett zu hören, statt schwer zu analysieren. Nur: Das kann man alles bedeutend flacher tun als Moritz Lieberkühn. Seine akzentfrei amerikanische Stimme legt sich behaglich über den filigranen Gitarrenpop seiner schwedischen Mitmusiker, und es klingt nie anbiedernd oder schleimig. Es klingt einfach und schön.
Man muss mit Musik ja nicht immer ein neues Genre schaffen oder Hörgewohnheiten verändern. Manchmal genügt es, das mit Gefühlen zu tun, die sich entspannt zurückgelehnt im Sessel oder (bitte etwas weniger entspannt) auf der Autobahn von allein verbreiten. Wenn man so nebenbei 1000 Gram hört.
Bei der nächsten Auswahlrunde für das Tonträger-Blog lassen wir so simples Zeugs dann wieder draußen, versprochen. Jetzt aber kriegt es mal seinen Platz und sei allen empfohlen, die sich bei Popmusik nicht immer konzentrieren wollen. 1000 Gram braucht keine Konzentration. Nur etwas Gelassenheit.
„Ken Sent Me“ von 1000 Gram ist erschienen bei Fixe Records.