Der Sound von Bristol und Berlin auf einem Album: Emikas Elektropop schlingert zwischen Berghain und Lindenoper, geht in die Beine und vielleicht auch in die Charts.
Ergibt das noch Sinn? Musik durch ihre Herkunft beschreiben zu wollen? Zu glauben, der Ort ihrer Entstehung erkläre, warum Musik klingt, wie sie klingt? Im globalen Dorf, wo nahezu jeder nur einen Mausklick neben dem anderen wohnt, wo im tiefsten australischen Busch weitgehend dieselben Produktionsbedingungen und derselbe Wissensfundus verfügbar sind wie in New York, ist so ein Ansatz wahrscheinlich Quatsch. Emika muss sich trotzdem mit dieser Herangehensweise an ihr Werk herumschlagen.
Das liegt daran, dass die englische Musikern, nachdem sie als Ema Jolly in Milton Keynes aufwuchs und in Bath ihr Studium der Musiktechnologie abschloss, ihre ersten musikalischen Gehversuche in Bristol unternahm und dann 2007 nach Berlin umzog, um einen Job bei der Musik-Software-Firma Native Instruments anzutreten. Ausgerechnet Bristol und Berlin aber gehören zu den Orten, denen selbst heutzutage noch eine klangdefinierende Wirkung zugestanden wird. Dva, dem neuen, zweiten Album von Emika dürfte deshalb ein ähnliches Schicksal zustoßen wie dem 2011 erschienenen Debüt Emika. Man könne hören, wo die Musikerin die vergangenen Jahre verbracht habe, befand die Fachpresse damals und zog vor allem Vergleiche zu den aus Bristol stammenden Helden Portishead und zum Berghain, Emikas liebstem Club in Berlin.
Beides ist nicht falsch. Aber wenn man diese Methode der Verortung auch auf Dva anwenden würde, müsste man vermuten, dass sich Emika zuletzt öfter mal in die drei Berliner Opernhäuser verirrt hat.
Das Album beginnt sehr elegisch mit den Streichern eines Prager Orchesters und dem Soprangesang von Michaela Šrůmová. Dann aber setzt schnell ein pumpender Beat ein, der deutlich macht, dass Emikas Zuhause doch weiterhin eher das Berghain bleibt. Dort hat sie vor drei Jahren Mikrofone platziert, um die Atmosphäre der heiligen Hallen einzufangen. Aus diesen Fieldrecordings durften dann sie und andere Produzenten jene Tracks bauen, die auf der fünften Compilation des clubeigenen Labels Ostgut zu finden sind.
Ganz so direkt findet das Berghain in Dva nicht seinen Niederschlag. Doch man könnte behaupten, dass Emika auf ihrem neuen Album die in den vergangenen Jahren vollzogene Öffnung des Clubs musikalisch nachvollzieht. Weiterhin bleiben Techno, der heutzutage lieber Elektro heißen will, und House die Grundlagen. Emika, die studierte Musiktechnologin, entlockt ihren Geräten allerdings nicht nur ein paar klangliche Überraschungen und setzt diese selten gehörten Sounds nicht nur zu tanzbaren Tracks zusammen, sondern auch zu chartstauglichen Popsongs wie Sing To Me oder klerikal anmutenden Weihegesängen wie Dem Worlds.
Was aber nicht bedeutet, dass im nächsten Moment nicht doch wieder ein Besuch in der Oper ansteht, eine Zigeunergeige durchs Rhythmusgerippe tanzt oder ein Klavier einsam in einem gewaltigen Hallraum herumsteht. Kate Bush, Depeche Mode und Kraftwerk schauen vorbei, ohne sich groß in die Haare zu kriegen. Ja, selbst Chris Isaak ist eingeladen. Sein Wicked Game wird unter Emikas Händen noch geheimnisvoller und verzweifelter als das schon ziemlich dunkle Original. Aber der Ort, an dem all diese Einflüsse friedlich zusammenfinden, ist dann doch wohl nur ihr Computer. Dass der in Berlin steht, ist zwar eine Tatsache. Aber die tut, wenn man ehrlich ist, nicht viel zur Sache.
„Dva“ von Emika ist erschienen bei Ninja Tune/Rough Trade.