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Fleischklumpen mit Herzschlag

 

Die Editors aus Birmingham kehren auf ihrem neuen Album zurück zu altem Trübsinn und übertreiben es ein bisschen. Dem Sänger wünscht man gute Besserung.

© Matt Spalding
© Matt Spalding

Das ist wahrlich ein unerwarteter Rückfall. Erholt wirkten die Editors aus dem mittelenglischen Birmingham zuletzt, ja beinahe geläutert. Es war den Rockern offenbar gelungen, die Köpfe aus dem tiefen Sumpf der Depression zu stecken. Vor vier Jahren war ihr letztes Album erschienen, sie schlugen darauf einen neuen Weg ein, kraftvoll und elektronisch („erfrischend und inspiriert“, lautete das Urteil damals an dieser Stelle).

Und nun das. Auf dem vierten Album der Band, The Weight Of Your Love, ist der Trübsinn wieder da, Selbstmitleid und Weinerlichkeit kamen hinzu. Ein fröhlicher Kerl war Tom Smith, der Sänger der Band, noch nie. Doch jetzt geht es der Liebe wirklich an den Kragen. Bestimmt einhundertvierundzwanzig Mal bellt, ruft, klagt und wispert er von love, und beinahe nie mag man das als Liebe übersetzen, vielmehr als Krieg, Naivität, Niedertracht. Das geht dem Hörer spätestens nach dem sechzehnten love gehörig auf den Keks.

Ohne ein Urteil darüber abgeben zu wollen, wie komplex Tom Smiths emotionales Gefüge ist, wie wahrhaftig bedrückt er sein mag: Musikalisch ist das Erzählen davon hier zur Masche verkommen, textlich zum reinen Klischee. Beginnt das Album mit dem an Depeche Modes Personal Jesus erinnernden Stampfer The Weight und dem keck bratzelnden Sugar zumindest musikalisch höchst vielversprechend, so mäandert der Rest völlig ziellos durch die Gefühlswelt des Sängers. Hinter jeder Ecke lauert ein Keyboardorchester, um die gaaaanz großen Gefühle vorzutäuschen.

Das Selbstmitleid kristallisiert in einer spezifischen Verlustangst, der Angst, übrig zu bleiben. „Every day I pray I’m the first to go, without you I would be lost„, singt Smith in The Weight, drei Minuten später setzt er in Sugar nochmal an: „Don’t leave, don’t leave, I want you to realise when I’m gone„. War er früher noch eher Zuschauer davon, wie das Leben die Menschen zurichten kann – das Traurigste, was er je gesehen habe, seien die Raucher vor Krankenhaustüren, sang er da – ist er nun selbst der Patient. Und wenn er nur die Hälfte von dem, was er singt, ernst meint, dann sollte sich jemand um ihn kümmern: Mein Herz ist eine läutende Kirchturmglocke, da ist Zucker auf deiner Seele, ich bin ein Fleischklumpen mit Herzschlag, es bricht mir das Herz, dich zu lieben. Solchen Unsinn muss man sich – oder sollte man sich besser nicht – auf der Zunge zergehen lassen.

Zu allem Überfluss folgt das Album auch noch einer allzu schematischen Dramatik. Erst wird ein bisschen gerockt, da darf selbst der Bass mal schmutzig ausholen, dann die Single, und an vierter Stelle die erste Ballade. So ungefähr funktioniert jede Scorpions-Platte. Nur dass diese Ballade (die erste von zu vielen) nicht bloß im Titel nach Rihanna klingt: „What Is This Thing Called Love„, trägt Tom Smith im Falsett vor, mit einem dicken Beat wäre das ein Radiohit. So ist es einfach nur schauderhaft.

Schade. Denn die Editors waren für eine Dekade eine Band, die den Trübsinn in hier und da mitreißende Energie verwandelte. Nun drohen sie zu versinken. Es tut weh, ihnen beim Strampeln zuzuschauen. Ist dieses Album schließlich durchgelaufen, wünscht man Tom Smith in Gedanken alles Gute.

„The Weight of Your Love“ von Editors ist erschienen bei PIAS.