Jetzt ist die Zeit für rohen Sound in ungeschliffener Pose: Die beiden Landstreicher Guaia Guaia und ihr Dada-Pop-Hop sind die Sensation des Jahres.
Die Straße hat den saturierten Pop seit jeher fasziniert. Westernhagen besang ihren Dreck, als seine Wasserhähne längst golden waren. Der Ex-Punk Geldof hat sich irgendwann nicht mehr gewaschen, um wenigstens wieder wie sie zu riechen. Und Mike Skinner gleich ganz danach benannt, während jede Stadionband, die was auf sich hält, irgendwann zu jenen asphaltierten Wurzeln zurückkehrt, von denen der Singer/Songwriter Mike Rosenberg als Passenger gerade in Richtung Weltruhm aufgebrochen ist. Es sind mal renditeorientierte, mal sehnsüchtige Gründe, die den Straßenmusiker so beliebt, so zugkräftig machen. Aber keiner darf den Titel so berechtigt im Label führen wie Elias Gottstein und Carl Luis Zielke.
Als Guaia Guaia spielen die zwei blutjungen Schulabbrecher nicht nur auf der Straße, sie wohnen dort. „Obdachlose Wanderpenner“ nennen sich die Schulfreunde, seit sie vor drei Jahren vom Osten der Republik auszogen, um ein freies Musikerleben zu leben. Seither holen sie auf belebten Plätzen Posaune, Gitarre, Verstärker nebst Generator aus selbst gebastelten Lastenfahrrädern und beglücken die Metropolen mit ihren stilistisch dadaistischen, klanglich elektrowavigen, gesanglich rotzigen Popparolen fröhlicher Zivilisationsverweigerung.
Es ist ein lustiges Vagabundendasein, das die zwei da öffentlich zelebrieren, bis die Polizei kommt und für jene Ordnung sorgt, der sich Guaia Guaia in ihren Texten widersetzen. „Ich bleibe auf der Reise / von Stadt zu Stadt“, sprechsingen sie in einer kruden Mixtur aus Häschenwitzstimme und Gunther-Gabriel-Nuscheln auf ihrem furiosen Debütalbum Eine Revolution ist viel zu wenig. Auf die ständige Frage, warum sie denn „keinen Job, keine Ausbildung, kein Abi gemacht“ hätten, antworten sie mit „ich werd‘ Terrorist“, rappen sich dazu eine Welt „ohne Cops und Security“ schön, wären dennoch gern ihr „eigenes Vorbild“ und erklären im Auftaktstück Absolute Gewinner, „Gangster machen Geld / doch nur in ihrem Kiez / ich reise um die Welt / besuch‘ das Paradies“. Womit wir beim Problem wären.
Denn Guaia Guaia mögen putzige Systemverlierer sein, die ihre Niederlage mit Big Beats, Rock und etwas Blech in einen Sieg musikalischer Eigenbehauptung im Wahnsinn wenden – durch den Wechsel ins Studio, produziert von Vertigo, vertrieben von Sony, verliert ihre selbstreferenzielle Verspieltheit leider an Kraft. Zu dumm: Elias und Luis werden über kurz oder lang berühmt. Dafür sorgte schon Sobo Swobodniks Tourdokumentation Unplugged, dafür sorgt die Authentizität der zwei frisurlosen Losertypen, dafür sorgt vor allem der aktuelle Bedarf nach rohem Sound in ungeschliffener Pose, die sich im wesensverwandten Rap zusehends von der durchdeklinierten Basecap-Attitüde entfernt.
Diese Kritik weist allerdings in eine Zukunft, in der sich die Wanderpenner eben doch ein Obdach leisten können; auch wenn es nicht grad eins mit Pool sein muss, der ihnen schon mal fürs Nachtasyl geöffnet wurde. Im Hier und Jetzt sind Guaia Guaia hingegen die Sensation des Jahres, eine Art Dada-Pop-Hop, der den Begriff des DIY in luftige Höhen treibt und etwas sehr Besonderes mitliefert: tanzbaren Spaß für Skeptiker.
„Eine Revolution ist noch zu wenig“ von Guaia Guaia ist erschienen bei Vertigo/Capitol.