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Reime aus der Giftgrube

 

Frustrierend, kompliziert, bisweilen faszinierend: Selten erscheinen Künstler und Werk so deckungsgleich wie Eminem und sein neues Album „The Marshall Mathers LP 2“.

© Universal Music
© Universal Music

Seit ihrer Veröffentlichung vor 13 Jahren führt The Marshall Mathers LP ein profitables Eigenleben. 21 Millionen Mal hat sich das dritte Eminem-Album bisher verkauft. Völlig zu recht gilt es als Heiliger Gral des Horrorcore, einem Hip-Hop-Subgenre, dessen Protagonisten in der Regel gar nichts mehr heilig ist. Die frühen Gewalt- und Vergewaltigungsfantasien der Odd-Future-Rapper Tyler, The Creator und Earl Sweatshirt lassen auf ein engagiertes Marshall Mathers-Studium schließen. Außerdem hat uns Stan, der beste Track der Platte, mit einem prominenten Gesangssample die Weltkarriere von Dido eingebrockt.

The Marshall Mathers LP 2 beginnt mit einem Sequel zu Stan, das damals die Geschichte eines obsessiven Eminem-Fans erzählte, den erst die Familie und dann der Verstand verließ. Der in brillanter Detailfülle ausgebreitete Song gipfelte in einem Blutbad – die Grundierung des gesamten Albums.

Stans Nachfolger heißt nun Bad Guy und spannt einen ähnlich ambitionierten Bogen: Mehr als sieben Minuten konstruiert Eminem die Rachepläne eines Bruders von Stan, der den Musiker für den tragischen Verlauf seiner Familiengeschichte verantwortlich macht. Blut wird diesmal nur metaphorisch vergossen. Der Titelheld schwingt sich zum Hauptdarsteller in Eminems Albträumen auf.

Schon Bad Guy enthält alles, was The Marshall Mathers LP 2 zu einer ebenso faszinierenden wie frustrierenden Platte macht. Das Stück ist eines von mehreren überlangen Rap-Schlachtschiffen, mit denen Eminem diesmal seine Stärke demonstriert: technisch atemberaubend gerappt, erstickend aggressiv vorgetragen. Bad Guy aber ist eben auch ein Konstrukt, keine Erzählung, die sich auf natürliche Weise entfaltet.

Durch eine unnötige Verkomplizierung seiner Geschichten und die ständige Überfrachtung des Versmaßes täuscht Eminem Tiefen vor, die es auf The Marshall Mathers LP 2 gar nicht zu erforschen gibt. Stattdessen enthüllt sich mit fortlaufender Zeit ein Album, das niemand so sehr gebraucht hat wie sein Schöpfer selbst.

Schon die Vorab-Singles Rap God und Berzerk wollten ein Revier markieren. Eminem hat mit diesen Stücken vor allem sich selbst etwas zu sagen, bestärkt sich, bevor er wieder bis zum Ellbogen in die Grube des Hässlichen langt. Es schallert wahllos frauenfeindlich und homophobe Beschimpfungen, aktuelle und ehemalige Prominente werden mit bewährter Garstigkeit vorgeführt. Manchmal scheint es, als gäbe es nur zwei Sorten von Menschen: Eminem und die Neidhammel.

Diese Rückkehr zur Angriffslust ist durchaus problematisch: Das erste Marshall Mathers-Album stammte von einem neureichen Endzwanziger, der aus seiner Überforderung in nahezu allen Lebenslagen eine grandios hasserfüllte Kunstfigur schöpfte. Sie hauste in den Grenzgebieten von Wahrheit, Fiktion und Übertreibung. Jetzt aber soll man das Gift einem sesshaften, entgifteten Mann mittleren Alters abkaufen, der vollkommen ausgedeutet erscheint? Zuletzt hatte Eminem auf dem sterbenslangweiligen Recovery die Läuterung als Leitmotiv entdeckt. Nun wirkt er schlichtweg zu alt für den Scheiß.

Vor ähnlichen Schwierigkeiten standen die Beastie Boys schon vor einem Vierteljahrhundert. Mit den aufmüpfigen Texten ihrer Anfangstage räumten sie einem Skandalrapper wie Eminem überhaupt erst die Straße frei. Vor allem das von Rick Rubin produzierte Berzerk wird auf The Marshall Mathers LP 2 mit blechernen E-Gitarren als Hommage an den Rap-Rock der Wegbereiter inszeniert – und verdeutlicht dabei ein weiteres Problem der Platte.

Während sich die Beastie Boys einen musikalischen Entdeckergeist antrainierten, der ihnen schließlich die Flucht aus der Rabaukenfalle ermöglichte, scheint Eminem auf The Marshall Mathers LP 2 weniger denn je an Musik interessiert zu sein. Schon die besseren Beats des Albums sind in erster Linie zweckmäßig. Sie funktionieren, weil sie Eminems Wortgewalt nicht im Weg stehen. Schlimm aber wird es, wenn im Country-Twang von So Far… Kid Rocks speckiges Spiegelbild zu erkennen ist – und Eminem einen Zukunftshorror vor Augen führt, der gar nicht mehr so irreal ist.

„The Marshall Mathers LP 2“ von Eminem ist erschienen bei Universal Music.