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Das Herz ist in topform

 

Der Amerikaner Tom Krell nennt sich How To Dress Well und entwirft einen neuen Typ des Songwriters: hochemotional, empfindsamer als Sturm und Drang, im ständigen Dialog mit dem Hörer.

© Zackery Michael
© Zackery Michael

Liebe, Hass, Freude, Schmerz: Tom Krell fühlt alles durch ein Stethoskop. Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt sind ihm keine Floskeln, sie sind die Pole der Musik, die er als How To Dress Well veröffentlicht, miteinander verbunden durch ein Portal, das den sekundenschnellen Wechsel von einem Zustand in den anderen erlaubt. Love Remains hieß das erste Album von How To Dress Well, Total Loss der Nachfolger. Seine dritte Platte hat Krell What Is This Heart? genannt. Einem wie ihm ist das die Frage aller Fragen.

Die Musik des 29-Jährigen aus Chicago geht sprunghaft mit Emotionen um, aber auch mit ihren Ausdrucksmitteln. Elaborierte Studioaufnahmen stehen neben kaum bearbeiteten LoFi-Mitschnitten. Erkenntnisse aus dem Great American Songbook nimmt Krell genauso ernst wie seine Jugendliebe, den R’n’B von Janet Jackson, Ashanti oder Bobby Brown. Manche Stücke versteckt er im Ambient-Nebel, andere suchen den ganz engen Kontakt zum Hörer. Immer geht es um ein Gegenüber von Klarheit und Verklausulierung, man könnte von Gefühlschaos sprechen. Oder einfach vom Leben.

What Is This Heart? soll nun für Ordnung sorgen. Das Album beginnt akustisch. Arrangement und Roadtrip-Setting von 2 Years On (Shame Dream) erinnern an den amerikanischen Liedermacher und -zerstörer Sufjan Stevens. Nie zuvor hat Krell so nackt und nah am Mikrofon gesungen, nie waren seine Worte deutlicher. Auch später, wenn Synthies, Beats und Verfremdungseffekte zurückkehren, bestimmt die Songs eine offensive Empfindsamkeit, die manchem Sturm-und-Drang-Dichter zu viel des Guten gewesen wäre.

Das Streben nach klaren Verhältnissen verkompliziert aber auch die Begleitumstände. Krell zählte bisher zu einer Gruppe von jungen Musikern, die der Figur des sensiblen Singer/Songwriters ein neues Erscheinungsbild geben. Künstler wie Autre Ne Veut, Rhye, Majical Cloudz und eben How To Dress Well singen mit großem Ernst von ebenso großen Gefühlen, vermeiden aber Authentizitätsanzeiger wie Wandergitarre, Mundharmonikagestell, Lagerfeuerromantik und Waldschratbart.

Auch auf What Is This Heart? trifft diese Beschreibung nur noch teilweise zu. Für seine konventionellste Platte erkennt Krell die Rolle des klassischen Folksängers zumindest als Stilmittel an. Das Album ist eine Abfolge professionell aufgenommener, überwiegend wundervoller R’n’B-, Folk- und sogar Emo-Popsongs, trennt die Genres aber sauberer als bisher voneinander. Krell will diesmal verstanden werden – und verstehen können. Er stellt nicht die Frage aller Fragen, um dann im Ambient-Nebel die Antwort zu verpassen.

Viele der Texte auf What Is This Heart? hat Krell als Zwiegespräche mit dem Hörer geschrieben. So entsteht ein imaginierter Dialog über die Möglichkeit des Mitgefühls in zynischen Zeiten und zugleich ein Plädoyer für unvorsichtigen, womöglich unvernünftigen Optimismus. Tom Krell fühlt durch ein Stethoskop und zeigt seinen Zuhörern, was das bedeutet. Er findet keine eindeutige Antwort auf die Frage seines Albumtitels, kann sich aber auf eine Gewissheit verlassen: Das Herz ist ein Muskel, und bei How To Dress Well ist er in Topform.

„What Is This Heart?“ von How To Dress Well ist erschienen bei Weird World/Domino/GoodToGo.