Krautrock, Stoner und Techno aus einem Guss: Die Tiny Fingers aus Israel passen auf jeden anständigen Rave genauso wie aufs Wacken-Festival.
Teppiche sind total aus der Mode. Fußböden flächendeckend mit Textilien zu belegen stammt schließlich noch aus einer Epoche, als Stuck schwer rückständig war und baulicher Kubismus das Maß aller Dinge. Kein Wunder, dass die verspielten Sechzigerjahre musikalisch erst durch flokatihaft psychedelischen (Kraut-)Rock abgelöst wurden und der wiederum über den Umweg des flächigen Elektrowave durch die elektronische Auslegeware des Techno. Bis auf die zeitliche Abfolge hatten die drei Stile dennoch wenig Berührungspunkte. Bis jetzt. Bis zu den Tiny Fingers.
Die Rockband aus Israel vollbringt das Kunststück, die Wesensmerkmale aus vier Jahrzehnten psychoaktiver Musik so filigran ineinander zu verweben, dass daraus ein zeitloser (Achtung: Floskel!) Klangteppich entsteht, auf dem es sich überall prima laufen lässt – daheim, im Stroboskopkeller oder draußen auf der Wiese. Stocknüchtern, schwer bekifft, leicht beduselt, egal. Angetrieben von Oren Ben Davids mal peitschender, mal erzählerischer Gitarre und Boaz Benturs hypnotischem Bass, entstehen auf dem neuen Album Megafauna mehr Kompositionen als Tracks, die alle Fragen nach Analogie und Digitalität, nach Künstlichkeit und Naturalismus auf siebenmal fünf Minuten abschließend beantworten: Trancige Elektronika kann wunderbar mit der Grundausstattung klassischer Rockmusik erzeugt werden.
Dabei kommt es dem kompositorischen Bombast ungeheuer zugute, dass das zum Quintett gewachsene Trio nach seinem viel beachteten, außerhalb Israels aber kaum gekauften Debütalbum Massive Fingers Spacetrip wieder auf alle begleitenden Vocals verzichtet. Gab Daniella Cecilia Turgeman dem Sound zuletzt etwas liedhaft Bodenständiges (was live weiterhin passiert), so finden die Tiny Fingers gewohnt instrumental wieder zum Kern ihres Schaffens zurück: die strukturlosen Soundgebilde so endlos zu verdichten, bis alles Liedhafte daran verloren geht und dennoch weiter unter der Oberfläche schlummert.
Das kann man Stücken wie Pasadena Matator anhören, die Züge robusten Hardcoremetals annehmen. Oder im nachfolgenden Cyclames mit seinem fast unendlichen Gitarrensolo. Überall jedoch wirkt die selbstreferenzielle Verspieltheit als Transmissionsriemen zwischen Krautrock, Stoner und Techno, als Missing Link zwischen berauschten Sounds verschiedener Popepochen mit ihren Krautdrogen und synthetischen Surrogaten. Gewiss, man muss sich auf diesem Phantasiewesen im Kuriositätenkabinett des Rock zuhören, um den Schreck zu verlieren. Megafauna steht nicht im Streichelzoo, sondern im Maschinenraum, dem der Schlagzeuger Tal Cohen oft etwas Industrielles entlockt. Von dort aus erzeugt das seltsame Tier Emotionen, die auf jeden Rave ebenso passen wie nach Wacken. Welche Band könnte das schon von sich behaupten?
„Megafauna“ von Tiny Fingers erscheint am 25. Juli bei Anova Music.