Mit makellosen Soulsongs erklärt die Londoner Band Jungle die Realität für unheilbar und verabschiedet sich in Richtung Tanzfläche. Genügt das zum großen Pop-Debüt?
Popmusik aus England ist gerade dabei, sich ihre gesellschaftliche Relevanz zurückzuerkämpfen. Im Abstand weniger Wochen haben die Rapperin Kate Tempest und das Proleten-Duo Sleaford Mods Alben veröffentlicht, die dem Zustand des zerrütteten Königreichs mit kämpferischer Eloquenz (Tempest) und der musikalischen Entsprechung einer brennenden Mülltonne (Mods) begegnen. Schon am Startblock steht außerdem The Fat White Family: Die Band vom linken Londoner Rand hat sich mit psychedelischem Anarcho-Punk und chaotischen Konzerten bereits einen Ruf erspielt, der ihrem zweiten, für Anfang 2015 geplanten Album vorauseilt.
Jungle werfen vor diesem Hintergrund zunächst einmal die Frage auf, was man mit ihnen anfangen soll. Auch diese je nach Pressefoto zwei- bis siebenköpfige Band stammt aus London. Auch ihr Pop reagiert auf eine desillusionierte Gesellschaft, geprägt von fehlenden Perspektiven und Chancenungleichheit. Das Besondere an Jungle sind die Schlüsse, die sie daraus ziehen. Der retrofuturistische Soul ihres Debütalbums erklärt die Realität für unheilbar. Er hält sich nicht weiter damit auf und verabschiedet sich in Richtung Tanzfläche.
Jungle sind die perfekte Bandhülle. Bis heute ist unklar, wer genau wie fest zu der Gruppe aus Shepherd’s Bush gehört. Die Multiinstrumentalisten und alten Schulfreunde Josh Lloyd-Watson und Tom McFarland bilden den Kern des Projekts. Ein Gesicht geben ihm jedoch erst die zahlreichen Gastmusiker, Tänzer, Darsteller und Requisiten, die in Videos und Artwork von Jungle auftauchen. Sie vermitteln das Bild einer Multikulti-Truppe, offenbar besetzt mit allen erdenklichen Ethnien, Geschlechtern und Altersgenossen.
Neben dem Spiel mit unklaren Identitäten teilen sich Jungle noch eine weitere Vorliebe mit dem aktuellen britischen Popbetrieb: Sie drehen Soul und R ’n‘ B gern auf links. Auch das geschieht bei ihnen durch Vermengung und Grenzüberschreitung. Aus Jungle lässt sich die progressiv orchestrierte Musik von Curtis Mayfield heraushören, die 30 Jahre alten Funk-Flirts der Post-Punk-Bewegung und ein Wille zum bleichen Crooner, den auch James Blake immer wieder demonstriert. Das Album klingt eher kuratiert als komponiert.
Das ist kein Kritikpunkt: Jungle gelingt ein spektakuläres, noch dazu selbst produziertes Sounddesign, in dem sich instrumentale und elektronische Elemente bis ins letzte Fingerschnipsen sinnvoll ergänzen. Lloyd-Watson und McFarland singen fast jede Zeile des Albums gemeinsam, meistens mit außerweltlich verfremdeten Stimmen, oft unterstützt durch zwei Backgroundsängerinnen. So eigen und ausgereift wie Jungle klang lange kein Popdebüt mehr.
Aber reicht das allein? Die Band singt stichwortartige Texte über Eskapismus, erwiderte und unerwiderte Liebe. Ihre Sprache erscheint bewusst klischiert, als blätterten sie durch einen Katalog der klassischen Popsong-Begehrlichkeiten. Am Ende bleibt eine Sammlung schöner Phrasen, die nichts reflektieren außer sich selbst. Für den Moment fühlt sich das großartig an. Alles Weitere wird später entschieden.
„Jungle“ von Jungle ist erschienen bei XL Recordings/Beggars/Indigo.