Man summt die Melodien mit, Worte kommen einem in den Sinn. Schließlich merkt man, dass niemand da ist, der die Melodie singt. Denn Contriva machen Instrumentalmusik
Am hellblauen Himmel brauen sich Schönwetterwolken zusammen, unter ihnen steht ein blaugrauer Bauzaun. Was liegt wohl dahinter? Man kann ein bisschen durch die Ritzen schauen, erkennen kann man nichts. Ist das eine der vielen Berliner Großbaustellen? Die Straßenschilder verraten auch nicht viel, auf ihnen fehlen die Buchstaben. Geheimnisvoll schaut es aus, das neue Album von Contriva.
Die Band kommt aus Berlin. Sie macht Instrumentalmusik, Separate Chambers ist ihr drittes Album. Die vier Musiker schreiben ungewöhnliche kleine Poplieder. Mit den monumentalen Klanggebäuden von Mogwai und den Technikspielereien von Tortoise hat das nichts zu tun, und auch nicht mit Jazz oder der Selbstverliebtheit von Rockgitarristen wie Steve Vai. Vielleicht wollte am Anfang einfach niemand singen und es wurde ihr Markenzeichen?
Das Album beginnt introvertiert. Man hört, wie eine raue Hand das Griffbrett der Gitarre entlangrutscht, dann wird ein leicht schiefer Akkord angeschlagen. Sehnsuchtsvoll langgezogene Töne einer elektrischen Gitarre treten hinzu und das verhaltene Klacken des Schlagzeugs. Das ganze Stück Good To Know hindurch hört man die rutschenden Hände. Irgendwann spielt die Western-Gitarre ein Solo, es klingt, als würde jemand beginnen zu singen.
Immer wieder hat man das Gefühl, dass da eine Gesangslinie ist. Man summt sie mit, Worte kommen einem in den Sinn. Schließlich merkt man, dass niemand da ist, der die Melodie singt. Irgendein Instrument ist immer da, das die Melodie übernimmt. Meist ist es die akustische Gitarre, manchmal die elektrische oder das Klavier.
Die Stücke auf Separate Chambers sind spröde, sie klingen trocken und direkt. Da ist kein Bombast, keine Klangwand, kaum Hall. Jedes einzelne Instrument lässt sich heraushören. Das ganze Album ist gelassen vorgetragen, Contriva haben keine besondere Eile.
Selten wird es flotter oder gar rockig. Unhelpful lebt von Masha Qrellas treibend schepperndem Bass und Hannes Lehmanns ungeheuer trickreichem Schlagzeugspiel, immer wieder wird der Rhythmus verzögert, dann rennen alle auf einmal los und auch die Gitarren von Rike Schuberty und Max Punktezahl stimmen in eine mitreißende Melodie ein. Auch bei I Can Wait erzeugen ständiges Beschleunigen und Abbremsen Spannung.
No One Below ist anfangs schleppend und melancholisch, Orgel und Dobro führen die Melodie. Dann ein kurzer Ausbruch, quietschige Gitarren, nach 30 Sekunden haben sie sich wieder gefangen. Eine herausragende Stellung auf dem Album hat das achtminütige Stück Centipede. In den vielstimmigen Chor gekratzter Violinen-Saiten mischt sich ein einfaches Gitarrenmotiv, vier gezupfte Töne, immer wieder. Nach zweieinhalb Minuten setzen ein warmes Klavier und der Bass ein und geben den Klängen Struktur. Der Refrain – wenn man das so nennen mag – verzaubert mit einem dieser euphorisch stimmenden Tonartwechsel. Ein hypnotisierendes Stück.
Bei Before und I Can Wait singt dann doch jemand, Bassistin Masha Qrella. Sie tut das nüchtern melodiös, wie sie es auf ihren beiden Soloalben bereits vorgeführt hat. Ihre Texte sind lyrisch. „I can wait, because I’m out of time anyway“, singt sie. Das erklärt also die Gelassenheit von Separate Chambers.
„Separate Chambers“ von Contriva ist erschienen bei Morr Music
Hören Sie hier „Unhelpful“ und „I Can Wait“
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