Das Gehen fällt ihm schon schwer, doch wenn man ihn hört, muss man sich keine Sorgen machen. Mit 76 Jahren hat der Tenorsaxofonist Sonny Rollins eine neue CD veröffentlicht: „Sonny, Please“
Eigentlich hasst er es, eigene Aufnahmen anhören zu müssen. Früher hat seine Frau und Managerin Lucille entschieden, welches neue Stück von ihm es auf die nächste CD schafft. Er vertraute ihr da völlig. Doch jetzt, zwei Jahre nach ihrem Tod, kommt er nicht mehr ganz an den Dingen vorbei, ohne die er die letzten 35 Jahre so gut leben konnte. Damals hatten Lucille und Sonny Rollins sich vom großen Jazzgeschäft verabschiedet, sie zogen aufs Land und er unterschrieb bei der kleinen kalifornischen Plattenfirma Fantasy. Dort machte er im Laufe der Jahre über 20 Platten, die ohne viel Marketing-Rummel auf den Markt kamen – Geld verdiente Rollins mit seinen Konzerten.
Als Fantasy unlängst verkauft wurde, entschied sich Rollins, eine eigene Plattenfirma zu gründen. Er wolle damit die Kontrolle über seine Musik erlangen, sagt er – viele seiner Kollegen unternahmen in jüngster Zeit ähnliche Schritte. Sein Label benannte er nach seiner Komposition Doxy, die er unter Leitung von Miles Davis im Jahr 1954 zum ersten Mal aufgenommen hatte.
Die Produktion von Sonny, Please wurde von seinem Neffen und langjährigen Posaunisten Clifton Anderson geleitet. Die Tradition, dass sich bei den Platten von Rollins alles, ja, wirklich alles nur um seine Soli dreht, bricht auch diese Aufnahme nicht. Man hat das starke Gefühl, dass sein einzigartiger Tenor-Klang geradezu mit der Blässe der Band korreliert.
Sonny, Please ist für Rollins ein Album voller Erinnerungen geworden. Auch das ist nicht untypisch für den Musiker, der den modernen Jazz mit erfunden hat. Anders als bei früheren Platten fehlt jedoch jeder Hinweis auf gesellschaftliche Belange. Er bezeichnet sich als mittlerweile reichlich desillusioniert, soweit es seinen Glauben an die Macht der Musik betrifft. Die wunderschöne Ballade Someday I´ll Find You hatte Rollins auch schon im Jahr 1958 in seiner gesellschaftskritisch gemeinten Freedom Suite verwendet, und sie besteht auffallend mühelos den Test der Zeit und veränderter Kontexte. Seine Komposition Park Palace Parade erinnert an die Calypso-Künstler in Spanish Harlem und an eine Zeit, als man sich für solche Musik noch zum Tanz versammelte. Rollins hat keine Zeit zu verschenken, und entsprechend dringlich mag diese Musik nun wirken. Als wolle er unbedingt sagen, dass das noch nicht alles gewesen sein kann.
„Sonny, Please“ vom Sonny Rollins ist als CD erschienen bei Doxy Records, in Deutschland wird sie von Universal vertrieben
Hören Sie hier „Sonny, Please“
Hier geht’s zum Artikel von Christian Broecking über seinen Besuch bei Sonny Rollins in New York
Lesen Sie hier: Die Platten des Jahres 2006 – Eine Nachschau auf 100 Tonträger
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