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Klaus Meine ist raus

 

Vierzehn Jahre nach dem Tod ihres Gitarristen Richey Edwards singen die Manic Street Preachers seine Lieder – und endlich lohnt das Zuhören wieder

Cover

 
Manic Street Preachers – Me And Stephen Hawking
 
Von dem Album: Journal For Plague Lovers Sony Music 2009

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Zugegeben, es ist schon ein paar Wochen her, dass dieses Album auf den Markt kam. Eine neue Platte der Manic Street Preachers, wer sollte sich die denn anhören wollen? Die klangen in den vergangenen zehn Jahren doch immer gleich. Gleich gefällig, gleich glatt, gleich belanglos, gleich sahnetortig produziert. Zur Rezension des letzten Albums Send Away The Tigers merkte ein Leser an, der Sänger James Dean Bradfield klinge bald wie Klaus Meine von den Scorpions, er fand das „beunruhigend“. Das war es in der Tat.

Welchen Grund gibt es also, Journal For Plague Lovers in den CD-Player zu schieben?

Immerhin den einen: Zum ersten Mal seit ihrem Meisterwerk Everything Must Go singe die Band wieder Texte von Richey Edwards, hieß es. Er war der Gitarrist und Texter der Manic Street Preachers und im Winter 1995 verschwunden, wahrscheinlich war er damals ertrunken. Sein Körper wurde nicht gefunden, sein Auto schon. Richey Edwards schien ein wütender junger Mann gewesen zu sein, er dichtete gegen den Kapitalismus, die Kirche, die Königin. Die drei verbliebenen Musiker spielten ohne ihn weiter.

Aus Texten, die er in seine Notizbücher gekritzelt hatte, schmiedeten die Manic Street Preachers nun eben dieses neue, neunte Album. Sie lesen sich wie das Poesiealbum eines Menschen, dem die Umwelt nur noch schillernde Oberfläche ist. Sie handeln von Heuchelei, Zynismus und Entfremdung, von der Unmöglichkeit des richtigen Lebens im falschen. Etwas mysteriös ist die Lyrik auch deshalb, weil sie voller Anspielungen steckt auf Ereignisse der frühen Neunziger. Die Fernsehauftritte der britischen Bestseller-Autorin Jackie Collins, den Tod des amerikanischen Serienmörders Jeffrey Dahmer.

Daneben stehen Kritzeleien und Malereien aus Richey Edwards‘ Notizbüchern. Das Grundbedürfnis jedes Individuums sei zu lieben und geliebt zu werden, steht da etwa. Eine gesunde Beziehung brauche Vertrauen, Empathie, Respekt, Aufrichtigkeit … Dann Blätter mit wirren Gedankensammlungen: „A free man should fear nothing of death. Is there a god. Where is truth. Catholicism divides itself.“ Richey Edwards war ein zutiefst verstörter und romantischer Mensch, muss man schließen. Keine Zweifel, ihm traut man zu, sich selbst umgebracht zu haben.

Den verbliebenen Kumpanen war die Bearbeitung der Lyrik des verlorenen Freundes eine lohnende Rosskur. Dornig ratschen die Gitarren, verschroben rumpelt das Schlagzeug. Den frischen kalorienreduzierten Klang bannte Steve Albini aufs Band, er lotste die Band im Studio um die Eisberge der Vergangenheit herum, um pathetische Rockattitüden, triefende Streicher, um das Dickaufgetragene. Wohltuend rau und direkt ist das alles gelungen. Wie früher, möchte man sagen. Wie in den punkrockigen Tagen von Motown Junk und New Art Riot.

Und selbst James Dean Bradfield klingt wieder mehr nach Eisenfeile denn nach Klaus Meine. Gut so.

„Journal For Plague Lovers“ von den Manic Street Preachers ist auf CD und LP erschienen bei Columbia/Sony Music.

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