Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Mundharmonika an Tofu

 

Die Gruppe Laub sitzt nicht am Mississippi, sie wandelt zwischen hohen Bürogebäuden im renovierten Berliner Osten. So klingt ihre Musik auch anders als der Blues der Alten

Laub Deinetwegen

In einer Ecke des spärlich beleuchteten Raums sitzt John Lee Hooker, in einer anderen Muddy Waters. Hooker atmet kurz durch, greift nach seiner Gitarre und daddelt drauflos. Das Instrument legt sich an seinen Körper, sie winden sich umeinander. Ein paar Versuche, dann grinst er zufrieden und schickt Waters eine launische Tonfolge hinüber. Er macht eine Pause und schaut den Klängen hinterher. Es dauert eine Ewigkeit, bis sie angekommen und vollkommen verklungen sind. Dann Waters, er spielt das Echo, fünf, sechs Mal und beginnt sanft zu variieren. Schließlich schickt er die Töne umgeordnet zurück, ein bisschen schlampig vielleicht. Dazu murmelt er ein paar Zeilen, „All you people, you know the Blues got a soul, well this is a story, a story never been told, well you know the Blues got pregnant, and they named the baby Rock’n’Roll“.

Das muss lange her sein. Der Rock’n’Roll ist im Rentenalter. John Lee Hooker ist seit sechs Jahren tot, Muddy Waters seit 25. Und der Blues? Spielt den heute noch jemand, der unter 60 ist? Ja! Laub aus Berlin tun das. Vier Alben lang ließen die Dichterin Antye Greie und der Gitarrist Jotka elektronische Musik zu lyrischen deutschen Texten hören. Während der Aufnahmen zur fünften Platte Deinetwegen entdeckten sie den Blues und spielten ihn, spielten mit ihm. Die Elektronik gaben sie nicht auf, so sind sie weniger die Pfleger des Blues als seine Heiler, die ihm mit Frischzellen kommen.

Ein dumpfer Schlag eröffnet das Album und das Stück Covering. Ein paar Saiten werden gestreichelt, eine dunkle Stimme ruft etwas, das wie I know her klingt. Langsam bilden die Töne Muster, die Schläge werden rhythmischer, das Stück bekommt Struktur. Das ist astreiner Blues, einfach und traurig. This Way, empfiehlt die Stimme. Schließlich wird das Gitarrenmuster zersägt, im Hintergrund knackt’s. Blues und Elektronika fließen zusammen, eine Frauenstimme singt die Tonfolge der Gitarre, „Dadldidau, Dadldidau“.

Und der Blues steckt nicht nur in den Gitarren. Antye Greie spielt mit den Worten, dreht und wendet sie, variiert Wortfolgen. Sie singt kaum, stellenweise rezitiert sie. Assoziative Wortfolgen schickt sie durch den Raum und horcht ihnen nach. Es geht um Alltägliches, Liebe, die Bestellung beim asiatischen Imbiss gegenüber: „Während ich warte auf mein verschrumpeltes Tofu und mir das Gehirn zerkrümle über Politik in Musik und wozu, fragt ein sechs Jahre alter Junge am Nebentisch seinen Papa, »Sag mal, sind Augen auch aus Chemie?« Mir wird klar, und wie, und wie, darüber hatte ich und auch der Vater so konkret noch nicht nachgedacht. Mit meiner fünf Euro Plastetüte Natriumglutamat zieh ich mir ’ne Lucky aus’m Automat und ’ne DVD aus’m Megastore. Ich schieb die DVD in mein Powerbook und mir die Nummer 21 vom Asi rein.“ Manche Texte wenden sich ins Bittere, andere sind sehr poetisch. „Seitdem sah ich dich untergehen, wie die Titanic – erst langsam, dann plötzlich – warst du weg, alles andere war noch da, der Schnee, die Stadt, deine Frau, dein Kind“, heißt es in Schnee.

Laub beherrschen das für den Blues typische Spiel mit Zitat und Variation. In Analog wiederholt Antye Greie Mal um Mal die Worte „Boom Boom Boom“, so heißt ein Lied John Lee Hookers, und so heißt auch ein Blues-Club in San Francisco. Das Stück Ruf erhebt sich aus den klagenden Lauten einer Mundharmonika. Viele der von Jotka eingespielten Gitarrenschnipsel auf der Platte klingen sehr alt und irgendwie bekannt. Sie sind handgemacht, nur an wenigen Stellen bearbeitet. Alles andere ist elektronisch erzeugt.

Klar, Laub sitzen nicht am Mississippi, sie wandeln zwischen hohen Bürogebäuden im renovierten Berliner Osten. Sie schuften nicht auf Baumwollfeldern und hängen nicht im Strafgefangenenzug, sie erzählen von sinnloser Telekommunikation, Beziehungsproblemen und kapitalistischen Lebensverhältnissen, auch irgendwie zermürbend. Der Blues passt gut in die hektische Welt der Schönen und Erfolgreichen am Prenzlauer Berg.

„Deinetwegen“ von Laub ist als CD erschienen bei AGF Producktion

Weitere Beiträge aus der Kategorie BLUES
Flanger: „Spirituals“ (Nonplace 2005)

Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter www.zeit.de/musik