Ist es nicht aufregend von seinem Schwarm eine Mixkassette zu bekommen? Er wählt seine Lieblingsstücke aus und zeigt sich und seine Gefühle, das ist sehr persönlich. Natürlich geht er ein hohes Risiko ein. Man stelle sich vor: Der Angebetete überreicht unsicher das handbeschriftete Teil, man wartet gespannt, zelebriert den Moment des Anhörens und spult dann von einem peinlichen Lied zum nächsten. Der Zauber ist verflogen, der Schwarm Vergangenheit.
Die Indiepopper des letzten Jahres, Hot Chip aus London, geben einen solchen Einblick in ihre Herzen. Für das Berliner Tanzmusiklabel !K7 haben sie die 28. Folge der DJ Kicks zusammengestellt. Sie machen das gut, zum Glück, man kann also weiter für sie schwärmen.
In der Reihe sind in den vergangenen 12 Jahren viele Alben erschienen, die das Zeug zur Lieblingsplatte haben. Ob Kruder & Dorfmeister oder Erlend Øye, Andrea Parker oder Four Tet, immer wieder gruben die Künstler außergewöhnliche Stücke und Bands aus. Eine gute DJ Kicks-Platte führt den Hörer in ihm unbekannte Gefilde und gewährt neue Blicke auf die Kompilierenden. Ihre musikalische Sozialisation, ihre Vorlieben und natürlich auch Peinlichkeiten treten zu Tage. Oft ist die Auswahl der Stile überraschend, weit weg von der eigenen Musik.
So auch bei Hot Chip. Beinahe schizophren geht es zu. Die 24 Stücke weisen in alle Richtungen, nur an ihr eigenes Hitalbum The Warning aus dem Jahr 2006 erinnert beinahe nichts. Hier ein bisschen Old School HipHop, Soul und Pop, dort Minimal-Produktionen der Franzosen Nôze und Audion, gemischt in Film 2 von Grauzone. Plötzlich ein paar Breaks, dann wieder verträumter Gesang. Auch die Technoproduzenten Gabriel Ananda und Dominik Eulberg kommen hier unter und laden zum nachmittäglichen Tanz im Wohnzimmer ein.
Doch der Tanz stockt, man reißt die Augen auf. Kaum ein Stück wird ausgespielt und der Mix ist nicht sonderlich engagiert. Hot Chips DJ Kicks klingt halbherzig, so als legten sie es nur drauf an, Unpassendes zu mischen. Weder wollen die fünf Musiker beweisen, dass sie mixen können, noch taugt die CD als Geschenk an Tänzer, die in ekstatischen Bewegungen die Welt vergessen wollen. Vielmehr halten Hot Chip eine kleine Musikgeschichtsstunde ab, bei Etta James und Ray Charles fangen sie an, über New Order und Joe Jackson landen sie in der Gegenwart, bei dem Produzenten Marek Bois, auch bekannt als Daypak. In der Mitte der CD wagen sie mit My Piano einen Blick in die Zukunft, auf ihr im kommenden Jahr erscheinendes drittes Album.
Hot Chip stellen auf DJ Kicks ihre Lieblingslieder zusammen. In einem Internetforum schreibt jemand: „Scheißgeile Platte, scheißmieses Mixing“. Eine richtige Mixkassette also, schließlich geht es dabei nicht um DJ-Künste und immer ein wenig mehr um einen selbst als um den Beschenkten und seine Bedürfnisse.
„DJ Kicks“ von Hot Chip ist erschienen bei !K7
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