Der Schlagzeugstar Martin Grubinger hat sein erstes Album aufgenommen. Aber was ist das denn? Seine Rhythmen legen sich um Mönchsgesänge wie eine neue Kutte.
Im Morgengrauen eines Wintertages anno 1023. Nebel wallen über Unterfranken. In der Kapelle der Benediktinerabtei Münsterschwarzach versammeln die Mönche sich zur Laudes, zum Morgengebet. Abt Ekkebert stimmt einen Choral an, die Mönche fallen ein. Plötzlich dröhnt ein Getrommel durch die Abtei, als sei der Leibhaftige los. „Martin“, brüllt der Abt, „halte ein!“ Bruder Adson eilt in die Krypta, zerrt einen Novizen vor den Altar. „Martin“, poltert Abt Ekkebert, „mit dem Getrommel muss es ein End haben, sonst gedeihst Du nimmermehr.“
Aber Abbo! Wer über Martin Grubinger sagt, er „trommle“, der nennt eine Caravaggio-Madonna einen „Ölschinken“ und Der Name der Rose einen „Streifen“. Die Virtuosität des 27-Jährigen Schlagzeugers ist legendär, er wird zu einem der Hoffnungsträger des darbenden Klassikmarktes (v)erklärt. Berühmte Schlagzeuger – das gibt’s im Jazz und im Rock, aber in der Kunstmusik? Kennen Sie einen?
Der gebürtige Salzburger hat bei seinem Vater Martin Grubinger Senior gelernt, Schlagzeuger und Lehrer an der Landesmusikschule, dann am Linzer Bruckner-Konservatorium und am Mozarteum seiner Heimatstadt. Die gute Schule erklärt sein fundiertes Musikhandwerk, seine Geschwindigkeit und Präzision, aber noch nicht den rasanten Aufstieg am Klassikhimmel. Zumal der Mann auch noch mit Neuer Musik reüssiert, mit Werken nicht eben als Kassenmagneten bekannter Komponisten wie Iannis Xenakis und gar mit Uraufführungen.
Grubinger hat Charme, das hilft. Auf Fotos sind seine berufsbedingt muskulösen Oberarme oft nackt. Seit Mai moderiert er im Bayerischen Fernsehen die Musiksendung KlickKlack (donnerstags kurz vor Mitternacht, wo E-Musik im öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag halt Platz findet). Und er hat eine große Klappe, bezieht bei jeder Gelegenheit gegen Fremdenfeindlichkeit Stellung. Aus Protest gegen die Wiedervereinigung der rechten österreichischen Parteien FPÖ und BZÖ sagte der mit einer Türkin verheiratete Musiker ein Konzert in Kärnten kurzerhand ab. Beim Schleswig-Holstein-Festival schickte er seinem Konzert eine Suada gegen Sparpläne in der Kulturpolitik voraus.
Vor allem hat sich der Grubinger-Martin einen Namen mit außergewöhnlichen Projekten gemacht. Insbesondere in der Ausdauerdisziplin: dem Schlagzeugmarathon Showdown at Vienna Musikverein 2006 und einer siebenstündigen Schlagzeugnacht beim Bonner Beethovenfest. Im Februar stand er beim Music Discovery Project 2010 neben der Hip-Hop-Band Blumentopf, Ex-Bro’Sis-Sängerin Hila Bronstein und dem Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks auf der Bühne der Frankfurter Jahrhunderthalle.
Genregrenzen zu überschreiten, das ist für Grubinger lustvolles Programm. Neue Musik, Lateinamerikanisches, japanische Taiko-Drums, Afro-Sounds, Rock, Minimalmusik, alles ist drin in der Wundertüte des „Multiperkussionisten“, wie er sich nennt. Das Schlagwerk-Konzert Frozen in Time, das der Komponist Avner Dorman ihm auf die Schlegel schrieb, ist ein brutal schwieriges, ein artistisches Werk. Zur Faszination gehört, dass Grubinger durch ein Arsenal an Instrumenten wirbelt, immer in Gefahr, einen Schlag zu verpassen, immer gerade rechtzeitig da.
Seine erste CD ist ganz anders – und doch auch wieder nicht. Das Arsenal auf Drums’n’Chant ist immer noch groß und multikulturell, aber auf die auftrumpfende Virtuosität haben Grubinger, sein Vater und die Hand voll Schlagwerk-Kollegen verzichtet. Die würden auch kaum zu den Gregorianischen Chorälen passen, die von Archivaufnahmen der Benediktinermönche aus Münsterschwarzach kommen.
Die eher dezenten Rhythmen aus aller Welt allerdings passen faszinierend gut dazu. Das mag daran liegen, dass die Musiker nicht mal eben zu den Archivbändern losjammten – da war schon der Münsterschwarzacher Pater Rhabanus Erbacher vor, als Hüter der Gregorianik. Der meint, die Choräle bräuchten keinen Zierrat – ein Dialog der Welten aber wie bei Grubinger, das sei schon eine andere Sache.
Die Grubingers (die Credits listen am häufigsten den Papa als Komponisten) gingen von der Idee der Universalität der katholischen Kirche und der Musik aus, bauten deshalb Instrumente aus Afrika und dem Mittleren Osten von Balafon bis Udu ebenso ein wie einen türkischen Sänger und eine Ney-Spielerin, den Oboisten Albrecht Mayer, E-Bass und Elektroklavier ebenso wie ein Sixxen, ein von Xenakis erfundenes mikrotonal gestimmtes Metallinstrument.
Grubinger und Kollegen sangen die Melodien zunächst, um ein Gefühl für die Musik zu bekommen, für die Rhythmik darin. Der Kontrast von fließendem, gleichförmigem Gesang und farbenreicher Perkussion macht dieses Projekt spannender als so manches Gregorianik-Experiment im Synthi-Pop oder auch die ätherischen Klänge des Jan-Garbarek-Bestsellers Officium – Zierrat, würde Pater Rhabanus sagen.
Münsterschwarzach, nach der Laudes. Novize Martin hat brav mitgesungen, der Abt verzeiht ihm. „Gell, Martin, gehst jetzt schön in Deine Zelle und betest. Heut abend zur Komplet darfst wieder spielen, aber zart, hörst? Da kommt auch der Bruder Jan von Mysen und bläst sein güldenes Horn.“ Et in saecula saeculorum. Amen.
„Drums’n’Chant“ von Martin Grubinger ist erschienen bei Deutsche Grammophon.