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Aprilscherz auf dünnem Eis

 
„Narrow Stairs“ heißt das neue Album von Death Cab For Cutie. Im Internet hatte es schon vor der Veröffentlichung für große Verwirrung gesorgt.

Death Cab For Cutie Narrow Stairs

Vor ein paar Monaten verschickte Neil Young seine Single Ordinary People an amerikanische Radiostationen. Das Stück dauert knappe zwanzig Minuten, so etwas hört man im Rundfunk selten. Er wisse das, sagte Neil Young, seine Stücke liefen aber auch dann nicht im Radio, wenn sie nur die üblichen dreieinhalb Minuten dauerten. So habe er eben sein Lieblingsstück genommen.

Was mag die amerikanische Band Death Cab For Cutie geritten haben, als sie es ihm nachtat und das achteinhalbminütige I Will Possess Your Heart als erste Single ihres neuen Albums veröffentlichte. Bei den amerikanischen College-Sendern sind sie seit einigen Jahren beliebt, aber wer sollte nun so etwas spielen? Behäbig wankt ein markantes Bassmuster zwischen Porcupine Tree und Pink Floyd entlang, erst gegen Ende setzt die Stimme ein, den charmanten Refrain singt sie in der ganzen Zeit nur einmal, kurz vor Schluss. (Von einem Re-frain kann also eigentlich keine Rede sein.)

In der Strophe hängt die Stimme dem Bass hinterher, als sei es ein Kanon. I Will Possess Your Heart wiegt schwer. Wer die Band vor drei Jahren mit ihren kleinen Erfolgen Soul Meets Body und I Will Follow You Into The Dark kennenlernte, wird griffige Poplieder suchen und die leichten Melodien vermissen. Sind Death Cab For Cutie zu Prog-Rockern geworden? Würde so auch das neue Album Narrow Stairs klingen?

Im April – acht Wochen vor Veröffentlichung – gelangte es dann auf die Tauschbörsen im Internet. Erste Rezensionen erschienen in Musik-Blogs, die Stimme des Sängers sei zarter als zuvor, die Lieder alle sehr ruhig, hieß es. Es sei erstaunlich viel elektronisches Schlagwerk zu vernehmen, die Melodien überwiegend schwach. Narrow Stairs klang anders als die Single, das war gut. Aber so weichgespült und öde wollte es nun auch kaum einer haben. Viele Kommentatoren zeigten sich enttäuscht, dass Narrow Stairs nicht an die Wärme und Musikalität des letzten Albums Plans anknüpfe, wenige feierten es überschwänglich als einen Schritt nach vorne, ihnen schien die Stimme Benjamin Gibbards Kontinuität genug zu sein.

Nur: diese Stimme gehörte gar nicht Gibbard. Ein Spaßvogel hatte das letzte Album der deutschen Band Velveteen umbenannt, die damals schon bekannte Single daruntergemischt und das Ganze den gierigen Runterladern zum Fraß vorgeworfen als studiofrische Platte der Amerikaner. Der Aprilscherz funktionierte mehrere Wochen lang. Die Stimmen der Sänger ähneln sich, doch wer genau hinhörte, ahnte den Schwindel.

Wer sich nun doppelt verwirren ließ, erst von der Single, dann von Velveteen, den wird das wirkliche Narrow Stairs wiederum verwundern. Denn Death Cab For Cutie klingen weder weichgespült, noch sind sie plötzlich melodieschwach auf der Brust, auch der ausufernde Prog-Rock spielt ansonsten keine Rolle. Zum Glück ist die Band klug genug, gar nicht erst zu versuchen, das erfolgreiche Plans aus dem Jahr 2005 zu wiederholen. Nein, sie gewinnen ihren Klang zurück. Damals waren sie von der kleinen Plattenfirma zur großen gewechselt, das hatte ihre Musik verändert. Die Glätte von Plans umschmeichelte die Hörer, es verhalf der Band vor allem in den USA zu einem großen Publikum. Doch für die Musiker war es ein Irrweg. Oder eine Sackgasse. Mit Narrow Stairs wenden sie, schlendern zurück zur letzten Kreuzung und folgen dem Weg, den sie mit ihren ersten vier Alben beschritten hatten.

Die meisten der zehn Stücke neben I Will Possess Your Heart sind flott und kurz. Cath …, Long Division und No Sunlight leben von scheppernden Gitarren, drängendem Bass und rumpeligem Schlagwerk, kaum eines der Stücke ist länger als vier Minuten. Das ist Rockmusik zum Lieben: große Melodien, laute Instrumente, wenig Schauspiel, kein Schweiß.

Im Mittelteil der Platte wechselt die Band auch mal das Tempo. Talking Bird ist ruhig und langweilig, Grapevine Fires ist ruhig und gar nicht langweilig. Im beschwingten You Can Do Better Than Me winkt Scott Walker um die Ecke. Bevor es pathetisch wird, ziehen Death Cab For Cutie die Notbremse – nach kaum anderthalb Minuten Orgelfreuden im Dreivierteltakt.

Gleich, ob die Instrumente beschwingt klingen oder nicht, Benjamin Gibbard singt düsteres Zeug. In No Sunlight – man ahnt es schon, wenn man den Titel liest – heißt es: „With every year that came to pass more clouds appeared, till the sky went black and there was no sunlight anymore. And it disappeared at the same speed as the idealistic things I believed when the optimist died inside of me.“ Früher war nicht alles besser, aber es sah besser aus. Man veränderte sich ständig und könne nichts dagegen tun, dass das Eis unter den Füßen dünner würde, singt er zu molligen Akkorden. Dann stimmt die Gitarre zwei, drei fröhlichere Akkorde, und an Gibbard singt vom Frühling. Keine gute Jahreszeit für Eisschollen. Hier, ganz am Ende der Platte wird es musikalisch beschaulich, The Ice Is Getting Thinner beschließt Narrow Stairs. Schon bei Led Zeppelin war das letzte Stück einer Platte das ruhigste. Das ist nicht die schlechteste Referenz.

„Narrow Stairs“ von Death Cab For Cutie ist als CD bei Atlantic/Warner Music erschienen, im September soll das Album als LP bei Barsuk veröffentlicht werden.

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