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Summer of Love, wir kommen!

 

Auf der Hollywoodschaukel mit The Mamas & The Papas: Das Album „Bliss Release“ von der australischen Band Cloud Control ist ein blumiges Folkpophappening – und doch viel viel mehr.

© Eva Vermandel

Heißa und Jucheirassa. Die Blumen blühen, die Bienen summen. Über grüne Wiesen laufen wir Hand in Hand zum Fluss hinunter, springen hinein, klettern heraus und trocknen in der Abendsonne. Los: Holz sammeln, Streichholz ran, Marshmellows rüber, Wandergitarre raus! Flowerpowerfeeling. Rainbowgatheringmomente. Gruppenemotionen der Tage des großen Aufbruchs einer ganzen Generation, damals.

Es ist einigermaßen erstaunlich, mit welcher Beharrlichkeit das, was der Mainstream heutzutage nicht mal mehr abschätzig, sondern bloß noch mit dem Staunen des Freakshow-Gaffers als Hippies abtut, durch die Gegenwartskultur wabert. Folk, so scheint es, is nicht back, Folk war nie weg. Die Fleet Foxes feiern mit zauseligem Lagerfeuerpop ein ungemein verkaufsträchtiges Crosbystillsnashyoungrevival, Neoblumenkinder feiern als Family of the Year Charterfolge, die Yeasayer bejahen das Leben aus vollen Orgelchorgesangstüten. Und jetzt kommen Cloud Control. Und sie heißen nicht nur wie frisch vom Summer-of-Love-Sampler, sie klingen auch so.

Nur ihr Gestus ist eben ein völlig anderer. Das Studentenquartett aus Sydney, verwurzelt in den naturgeschützten Blue Mountains, erinnert in seiner röhrenhosigen Euphorieverweigerung an moderne Existenzialisten im Indierockkeller. Cloud Control sind eine Folkpopband, die sich auf den Folk konzentriert, weil ihr der Pop eher unheimlich ist. Zehn Stücke weist das Debütalbum der Wolkenschieber auf. Jedes einzelne wirkt wie eine Reminiszenz. Es ist ein einziges blumiges Happening. Und doch so viel, viel mehr.

Denn da wird zwar eifrig im Chor gesungen, immer wieder im Chor; da fließen die Strophen in die Refrains als gäb’s keine Bridges; da macht der Gitarrist Alister Wright glaubhaft, dass seinem Bassmann Jeremy Kelshaw noch nie eine Saite gerissen sei; da schwingt Heidi Lenffer als einzige Frau standesgemäß Tamburine zu den Tasten, während ihr Bruder Ulrich sein Schlagzeug offenbar als Streichelzoo definiert; da wird also schwer gekuschelt wie im anheimelnden Just For Now, gruppendynamisch der Glückshormonspiegel erhöht wie im wunderbaren Meditation Song zu Beginn, gemeinsam geklagt wie im berührenden Hollow Drums, alles im abschließenden My Fear verknotet; und wenn durch Gold Canary (das Alister der Legende nach hoch oben in den Bergen geschrieben haben soll) oder The Rolling Stones (das zum Glück nur so heißt) kurze verzückte Schreie dringen, fühlt man sich wie auf der Hollywoodschaukel mit The Mamas & The Papas.

Dennoch trügt der Eindruck, hier gehe es bloß um Erinnerung. Die Platte gerät nie nostalgisch. Sie bezieht aus dem Zitat gestriger Klangsprachen ihre eigene, stimmige Aktualität. Das ganze Heißa und Jucheirassa, die melancholischen Versatzstücke dazwischen sind am Ende doch zu elegisch für Retroblumenkinder und zu eklektisch für simplen Pop. So gesehen hat das Album Bliss Release nicht nur dank all der „Fears“ und „Deaths“ und „Ghosts“ in den Titeln doch mehr von Velvet Underground als von Scott McKenzie. Dass man beim Hören trotzdem eher an grüne Wiesen als an New Yorker Straßenschluchten denkt, ist die große Kunst dieser Blumenband mit den traurigen Gesichtern.

„Bliss Release“ von Cloud Control ist erschienen bei Infectious/Rough Trade.