Debiles, aber kunstvolles Torkeln zwischen den Stilen: Der unglaubliche Chilly Gonzales verstrickt auf seinem neuen Soloalbum Streichmusik mit Ego-Rap.
Chilly Gonzales liebt Bademäntel. In denen steigt er gern auf die Bühne und in ihnen lässt er sich am liebsten fotografieren. Eine größere Schwäche hat Chilly Gonzales nur noch für musikalische Rundumschläge und für durchgeknallte Ideen. Seine neueste heißt The Unspeakable Chilly Gonzales, und natürlich hält der legendär mitteilungsbedürftige Kanadier nicht etwa den Mund. Im Gegenteil: Er plappert so viel wie noch nie. Sein neuntes Soloalbum ist eine Rap-Platte. Allerdings eine – das ist die durchgeknallte Idee – mit Orchesterbegleitung.
Schon erstaunlich, dass es Gonzales immer wieder gelingt, das Publikum zu erstaunen. Schließlich ist seine Laufbahn von Anbeginn geprägt von überraschenden Stilwechseln. Nach einem klassischen Studium spielte Jason Beck erst Jazz, gründete dann eine Poprock-Band, ging nach Berlin, gab sich den Namen Chilly Gonzales und erfand den Prankster Rap, programmierte Elektro-Punk, brachte die Landsfrau und Freundin Leslie Feist zur Weltkarriere, verschwand nach Paris und arbeitete eine Zeit lang für Charles Aznavour, begeisterte mit dem spartanischen Solo Piano sogar hartherzige Kritiker und rettete anschließend mit dem wundervoll schmalzigen Soft Power die Ehre von Toto, Foreigner und Peter Frampton.
Auf seinem letzten Album Ivory Tower trafen schließlich der avantgardistische Techno-Krach von Boys Noize auf Gonzales‘ perlendes Klavierspiel. Die Eingebung, über ein Kammerorchester zu rappen, ist in der Welt von Chilly Gonzales wohl nur ein ganz gewöhnlicher Winkelzug.
Für die Arrangements auf The Unspeakable Chilly Gonzales hat er seinen Bruder Christophe Beck engagiert. Der Filmmusikkomponist, der bereits einen Emmy gewonnen hat, lässt das Orchester allerdings nicht etwa Hip-Hop-Beats imitieren. Meist gibt es nicht einmal einen durchgehenden, tanzbaren Rhythmus. Stattdessen wirken die Stücke eher wie Ouvertüren zu Opern, die erst noch geschrieben werden müssen. Eine Idee, die Herr Gonzales wahrscheinlich demnächst aufgreifen wird.
Vorerst aber streichen die Geiger noch in üblicher Songlänge, als gäbe es kein Morgen. Das Glockenspiel dängelt fröhlich, die Klarinette flötet verträumt, und immer wieder mal wird kräftig auf die Pauke gehauen. Durch Bongo Monologue jodelt sich eine etwas nervige Opernsängerin. Who Wants To Hear This? könnte auch aus einer vergessenen Nachlasskiste Richard Wagners stammen. Und Party In My Mind wäre durchaus tauglich als Soundtrack für ein Remake des Tigers von Eschnapur.
Darüber reimt Gonzales, wie man es von ihm kennt und wie es sich für zünftigen Rap gehört: ichbezogen, selbstironisch, größenwahnsinnig. „I said I was a musical genius„, rückt er sich in Positur, um dann gleich wieder das eigene Denkmal einzureißen und Feuer zu legen an sein Self Portrait. In Beans rechnet er sarkastisch und ziemlich witzig mit dem doofen Popgeschäft ab, während er in Shut Up And Play The Piano die eigene Position in der Musikgeschichte verortet und zur verspielten Klavierbegleitung seinen „inner Erik Satie“ erforscht. Jener Satie hatte bekanntlich zu seiner Zeit auch die eine oder andere Idee, die an der Grenze zwischen Genialität und Debilität entlangtorkelte. Chilly Gonzales läuft ihm langsam aber sicher den Rang ab.
„The Unspeakable Chilly Gonzales“ von Chilly Gonzales ist erschienen bei Wagram/Edel.